Freitag, 31. Mai 2013

Woche 40. Im Rhythmus bleiben

Es ist jetzt schon klar: Das praktische Jahr hat mich mit einer Sache auf jeden Fall beschert. Die Frage des (eventuellen) Wissenszuwachses lasse ich mal außen vor, jetzt spreche ich vom Arbeitsrhythmus.

In den ersten fünf Jahren meines Studium konnte ich meine Zeit ziemlich frei einteilen. Dank der fehlenden Anwesenheitspflicht für viele Lehrveranstaltungen im Reformstudiengang konnte ich mich häufig morgens spontan entscheiden, ob ich nun zu diesem Seminar gehen will oder nicht. Jetzt ist dieser Spaß auf jeden Fall vorbei.

Am Dienstag war ich mit einer Freundin in einem Impro-Theater. Der Abend war super, wir haben gelacht und die Zeit genossen. Der einzige Nachteil war, dass das Program bis 23 Uhr ging. Kurz vor Mitternacht war ich erst zu Hause. Und am nächsten Morgen ging die Arbeit wieder los, ich musste wie immer um 6 Uhr aufstehen.

Dieser Freiheiten fehlen mir manchmal. Klar, der Studentenstatus hat viele Nachteile. Aber um diesen einen Vorteil der freien Zeiteinteilung traue ich am meisten. Denn bis auf die Vorbereitung für die große Prüfung im Herbst werde ich nie wieder so frei sein wie früher.

Freitag, 24. Mai 2013

Woche 39. Der Chef und ich

Wie gesagt, es gibt doch viele schöne Sachen in der Unfallchirurgie. Das könnt Ihr alle in den vorausgegangenen Beiträgen nachlesen. Doch eine Sache finde ich irgendwie doof und komme mit ihr gar nicht oder halt sehr schlecht klar. Es geht um die Hierarchie.

"Ay, ay, Captain!", - pflegen die Seeleute zu sagen. Das klingt irgendwie lustig, und auch wenn man es in seinen eigenen Alltag einbauen kann. Aber wenn es wirklich ernst gemeint werden soll, wenn die Hierarchie und das Machtspiel sich zuspitzen, da steige ich aus, tut mir leid.

Mein geliebtes zweites Tertial auf meiner geliebten ITS lang (und zum Teil auch davor, in der Pädiatrie) war ich durchaus als Kollegin angesehen, und bin in das Ärzteteam voll integriert worden. Aber jetzt bin ich den starren Hierarchien in der Unfallchirurgie ausgeliefert, und die Welt steht plötzlich Kopf.

Klar, die meisten Assistenzärzte (auch die, die schon kurz vor der Facharztprüfung stehen) sind sehr nett. Und auf der Station, wo ich gerade bin, werde ich sowohl von ihnen, als auch (oh Wunder!) den Schwestern respektiert und darf meinen weißen Kittel mit Stolz tragen. Sobald es aber Richtung Oberarzt- oder Chefarztetage geht, fühle ich mich wieder auf den Stand eines Einzellers degradiert, bei dem Chef natürlich viel stärker (manche Oberärzte loben mich ja ab und zu, das darf ich auch nicht vergessen).

Aber den Chefarzt finde ich wirklich echt unmöglich. Okay, er mag auf seinem Fachgebiet die größte Erfahrung besitzen (was vielleicht damit zusammenhängt, dass er einfach der älteste ist, haha), aber es regt mich jedes Mal aufs Neue auf, wie wenig Vertrauen (na, im Prinzip gar keins) er seinem Team entgegen bringt! Das darf doch nicht wahr sein, dass er alles - aber wirklich alles! - in Frage stellt, und dann noch die Leute, die es wagen, eine andere Meinung zu haben!, blöd aufzieht.

Na ja, ich bin nur froh, dass ich nicht unter seinem Kommando mein ganzes Leben lang dienen arbeiten muss. Nur ein einziges Mal hat er mich persönlich angesprochen, und alleine das reicht schon voll aus: Ich solle doch kein "blaues Kasack" (Originalwortwahl) auf Arbeit tragen, weil es ja die Farbe der OP-Klamotten im großen OP-Trakt ist! Bei dem Kerl habe ich ständig das Gefühl, dass ich im falschen Film bin, aber echt...

Freitag, 17. Mai 2013

Woche 38. "Wer schlägt, der liebt"

Schon wieder muss ich auf russische Sprichwörter zurückgreifen, wenn ich an meine Arbeit denke. Diesmal ist es "Wer schlägt, der liebt". Meiner (modernen) Ansicht nach, ein komisches Überbleibsel aus der Zeit von "Domostroj", einem Buch aus dem 16. Jahrhundert mit Ratschlägen oder eher Richtlinien, wie man seinen Haushalt führen soll (wiki). In diesem schönen Buch gibt es nämlich auch genug Vorschläge, wie die Ehefrau zu erziehen ist: "Schlage Dein Weib jeden Tag außer sonntags. Schage sie mit allem außer mit einem Ofenhaken oder einer Deichsel".

Diese Sätze wird in Russland öfters zitiert, wenn es mal um die alten Lebensweisen und die Traditionen geht. Doch manche Männer, auch hier in Deutschland, leben anscheinend immer noch danach. Denn anders kann ich mir es nicht erklären, dass es heutzutage so viele Opfer der häuslichen Gewalt gibt.

Vorletzte Woche hatten wir eine solche Patientin in der Rettungsstelle, diese Woche wieder. Zwei ganz unterschiedliche Frauen, die eins verbindet: Blaue Flecken, psychischer Schock, Verletzungen nicht nur am Leib, sondern auch an der Seele.

Was werden sie wohl gefühlt haben, als der (einst) geliebte Mensch plötzlich auf sie losging? Sie erzählen von dem Vorgang, etwas monoton, aber man sieht ihnen an, dass sie gerade das Ganze vor dem inneren Auge Revue passieren lassen. Und wieder und wieder diesen Schmerz spüren.

Man sagt, Wörter können manchmal mehr weh tun als Schläge. Das mag sein. Aber in einer Liebesbeziehung, die gerade auf Vertrauen und Hingabe basieren soll, ist doch beides fehl am Platz! Ich leide mit diesen beiden Frauen, die ich gesehen und untersucht, mit denen ich ausführlich gesprochen habe, voll mit. Und ich wünsche ihnen und tausenden anderen, die vielleicht nicht mal die Mut finden, darüber zu sprechen, vom ganzen Herzen, dass sie aus diesem Teufelskreis rauskommen, dass sie irgendwann wieder frei werden.

Freitag, 10. Mai 2013

Woche 37. Überraschung!

Diese Woche habe ich etwas erlebt, was ich wohl nie für möglich gehalten hätte: Eine Entdeckung, dass Unfallchirurgie doch Spaß machen kann!

Angefangen mit dem Lob von einer Oberärztin, die immer etwas grimmig guckt, weiter mit netten Worten von der Stationsärztin, die mit mir sehr zufrieden war, und am Ende noch eine Erkenntnis, dass ich inzwischen ziemlich gut nähen kann – sowohl im OP, als auch in der Rettungsstelle.

À propos Rettungsstelle: Jedes Mal erlebe ich aufs Neue, wie Unfallchirurgen dort viel bessere Karten haben. Erstens, sagt die Klinik (also, die Art von Beschwerden) schon vieles über die Ursache aus – wo nichts weh tut, kann auch (fast immer) nicht kaputt sein. Die einzigen schwierigen Fälle sind demente Patienten aus dem Altersheim, die ihre Schmerzen einfach nicht ausdrücken können. Und auch dann, wie in allen Fällen wo man nicht weiter kommt oder sich einfach absichern möchte, wird schnell eine Röntgenaufnahme gemacht, und fertig ist die Diagnose!

Dagegen bei den Internisten dauert alles einfach viel länger. Erkrankungen der inneren Organe können sich auf unterschiedlichste Art und Weise manifestieren, da gibt es höchstens Leitsymptome, die für eine oder andere Krankheit charakteristisch sein können, und mehrere Differentialdiagnosen, die man alle ausschließen muss. Klar, es ist nicht unbedingt eine Sache von Stunden und wird nicht ausschließlich in der Rettungsstelle gemacht. Doch auch dort muss man sich als erstes einen Überblick bei den Beschwerden verschaffen, Anamnese erheben, den Patienten untersuchen, eine Verdachtsdiagnose stellen und sie (am häufigsten) mit Labor bestätigen. Das nimmt einfach viel mehr Zeit in Anspruch.

Und so ist es: Während der Unfallchirurg gemütlich am Mittagstisch sitzt, muss der Internist hin und her rennen. Aber es geht auch anders: 10 unfallchirurgische Patienten und 1 internistischer. Da wechseln sich die Rollen.

Freitag, 3. Mai 2013

Woche 36. Mein Lobgesang an die Rettungsstelle

Dienste in der Rettungsstelle werden von vielen Ärzten nicht gerne genommen. In der Uniklinik, zum Beispiel, dauert das Warten für die Patienten manchmal bis zu acht Stunden! Für die Ärzte ist es dann wiederum mit einem erheblichen Zeitdruck verbunden: Ich kann mich unmöglich einem Patienten so lange widmen, wie es mir lieb ist, wenn draußen noch 20 andere warten, und manche schon seit Ewigkeit.

Umso überraschender war es, dass das kleine Krankenhaus, wo ich gerade mein drittes PJ-Tertial absolviere, eine ebenfall kleine und putzige erste Hilfe hat. Es gibt sieben Behandlungszimmer, von denen vier den Internisten und zwei den Unfallchirurgen gehören, das siebte ist für die Allgemeinchirurgen (wenn sie mal gebraucht werden, denn sie kommen nur konsiliarisch) reserviert.

Die Rettungsstelle ist zwar vom ärztlichen und pflegerischen Personal durchgehen rund um die Uhr besetzt (so steht es ganz stolz auf den Infoblättern), die meiste Zeit sind aber eben nur der Internist und der Unfallchirurg da (wenn überhaupt). Alle anderen kommen erst, wenn sie gerufen werden, mit Ausnahme der HNO-Abteilung, die ihre eigene Rettungsstelle im 1. OG besitzt. Dorthin werden alle Patienten weitergeleitet, wenn bei der unfallchirurgischen Untersuchung eine Verletzung im Gesicht oder Halsbereich vorliegt, unabhängig von der Größe. (Ich muss dabei immer an die Abschieben-Regel aus "House of God" denken, so zutreffend ist es dann eben.)

Dieser Ausmaß an Räumlichkeiten und ärztlicher Besatzung reicht anscheinend auch, denn das Gedränge der Patienten hält sich überraschenderweise sehr in Grenzen. Die längste Wartezeit, die ich mitbekommen habe, waren 2-2,5 Stunden, dabei hatten wir einen sehr stressigen Abend mit acht (!) Patientenakten in der Warteschlange. Da hat sich der Arzt gefreut, dass ich auch da war, gemeinsam haben wir den Stapel schnell abgearbeitet.

Meistens verlaufen die Dienste ganz entspannt. Spätdienste mag ich sogar lieber, weil sich dann der Krankenhaustrubel etwas legt (und ich zur einzigen Studentin in der Unfallchirurgie werde). Das Pflegepersonal wird automatisch freundlicher, man kann sich gemeinsam am Tisch sehr nett unterhalten.

Abends darf ich auch viel mehr selber machen: Meine Highlights sind natürlich das Nähen von Platzwunden und das Spalten von Panaritium (Eiteransammlung unter der Haut am Finger), beides mit sterilen Handschuhen und echten OP-Leuchten. Solche Kleinigkeiten wie Anlegen eines venösen Zugangs oder Tetanusimpfung sind dann nicht mehr der Rede wert.

Dadurch kommt es, dass die Ärzte auch milder gestimmt sind. Ich bekomme nicht nur eine eins-zu-eins Betreuung, sondern auch einen echten theoretischen Unterricht mit Merkhilfen und Untersuchungstechniken, der tagsüber leider mehr ausfällt als stattfindet. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ich gefühlte 90% der Lernerfolge in der Unfallchirurgie meinen abendlichen Einsätzen in der Rettungsstelle verdanke.