Freitag, 8. März 2013

Woche 28. Schicksale der Menschen

Es ist unabdingbar, Menschengeschichten zu erfahren, wenn man in einem dermaßen sozialen Beruf wie Medizin tätig ist. Auf den ersten Blick gewöhnliche Leute zeigen vollkommen unerwartete spannende Seiten, sobald mal etwas tiefer gräbt.

Da gibt es zum Beispiel einen 83-jährigen Mann, der neulich seinen 100. Tag auf der Intensivstation "gefeiert" hat. Drei Monate lang musste er vom Gerät beim Atmen unterstützt werden, endlich kann er das selber probieren, bekommt auch seine Stimme zurück und erzählt, dass er mit seiner Frau über 50 Jahren glücklich verheiratet war, und alle Freunde wunderten sich und fragten, wie sie das machten, wobei das Geheimnis einfach ist: "Man muss auch in der Beziehung ein Mensch bleiben".

Es gibt auch einen anderen Mann, gerade 32-jährigen. Vor einigen Jahren hat er Krebs bekommen und sein Brustkorb musste bestrahlt werden. Der Krebs ging weg, aber sein Herz hat dabei extrem gelitten und 3/4 seiner Funktion verloren. Als dieses Jahr die Grippe wieder rumging, hat es ihn voll erwischt: Influenza-Pneumonie, später noch mit Pneumokokken dazu. Seit Mitte Januar ist er auf unserer Station, die Ärzte kämpfen mit allen erdenklichen Mitteln um sein Leben. Die Besserung bleibt leider trotzdem aus, seine Lunge baut sich wegen der künstlichen Beatmung langsam zu Bindegewebe um. Die Prognose ist also infaust, und das bei einem so jungen Mann. Dass er dabei noch allenerziehender Vater eines fünfjährigen Kind ist, raubt uns allen die Sprache.

Ein Gegenbeispiel kann unser neuer Patient liefern, der gerage diese Woche aufgenommen wurde. Ein ebenfalls junger, 33-jähriger. Er liegt auch im künstlichen Koma, ist intubiert. Seine Leber fällt langsam auseinander, vom Hepatits B und Hepatitis C gefressen. Eine Pankreatitis hatte er auch schon, jetzt ist er vor allem wegen der Pneumonie da. HIV ist noch nicht ausgeschlossen. Der Grund für sein Leiden: Exzessiver Alkohol- und Heroinkonsum. Seine Familie: Lauter Akademiker, Vater Arzt, Bruder Professor.

Es gäbe noch viel mehr zu erzählen, schließlich ist jeder Mensch einzigartig, und seine Geschichte nur einmalig. Und das bedeutet, dass wir von unseren Patienten auch eine Menge lernen können.

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