Freitag, 29. März 2013

Woche 31. Der Trennungsschmerz

Diese Woche ist es mir endgültig klar geworden: Nur noch wenige Tage, dann muss ich mich von meiner Lieblings-ITS wahrscheinlich für immer verabschieden. Denn als Student werde ich wohl nie wieder kommen, und ob ich es als Arzt irgendwann mache - wer weiß?

Ich sehe, dass ich als Student auf der Station schon viele Vorteile genieße. Ich kann ruhig zugeben, dass ich irgendwas nicht weiß oder eben noch mal nachschlagen muss, ohne an Respekt zu verlieren. Ich kann mir (fast) immer aussuchen, worum ich mich kümmern möchte, und kann mich so geschickt um langweilige oder sinnlose Aufgaben drücken. Bei den Pflegenden genieße ich noch den "Welpenschutz", sodass wir uns meistens gut vertragen.

Man darf aber die andere Seite der Medaille nicht vergessen: Je schöner die vergangene Zeit, umso schwerer der Abschied. Und ich ahne jetzt schon: Er wird mir gar nicht so leicht fallen. Deshalb genieße ich jeden Moment, den ich in der vertrauten Umgebung zwischen den netten Menschen verbringe: Bald geht es in die gnadenlose Welt der Chirurgie über...

Samstag, 23. März 2013

Woche 30. 56 Stunden

 - das ist mein Arbeitspensum diese Woche (abgesehen vom Besuch, den ich momentan auch habe). So wie die Station die ersten drei Tage überbesetzt war, war sie am Donnerstag und Freitag unterbesetzt - eine Ärztin wurde krank, und ich musste wieder "wie eine Vollzeitkraft" einspringen.

Der Donnerstag war schon turbulent genug, zumal es neben der täglichen Visite auch sonst ordentlich zu tun gab. Am Freitag hätte ich meinen Studientag gehabt, um mich unter anderem auch vor dem Nachtdienst im Schlaflabor (mein Studentenjob seit fast drei Jahren) auszuruhen. Aber irgendwie hatte ich keine Ruhe bei dem Gedanken, dass eine einzige Ärztin, die ich dazu noch sehr nett finde und die immer und gerne viel erklärt, die ganze Station machen muss, sodass ich mir auch am Freitag einen vollen Arbeitstag angetan habe.

Es war mindestens genauso chaotisch, wie am Tag davor. Erschwerend kam hinzu, dass es einem Patienten nicht gut ging, und die besagte Ärztin sich fast die ganze Zeit nur um ihn kümmern musste. In der Zwischenzeit habe ich dem Oberarzt beim Tracheostomieren eines "meiner" Patienten geholfen, indem ich sein "Bronchoskopeur" (c) war, meine Patienten visitiert, tausend Sachen nebenbei erledigt und meinen Memo-Zettel vollkommen zugekritzelt, um nicht irgendetwas wichtiges zu vergessen.

Nach dem ersten Feierabend hatte ich fünf Stunden Zeit, um mich vor dem Nachtdienst zu erholen, der von 20 Uhr abends bis 7 Uhr morgens geht. 1,5 Stunden davon waren für dem Heim- und Arbeitsweg, 2 Stunden habe ich geschlafen, und nun ist mehr als die Hälfte des Dienstes vorbei und ich versuche mich für die restliche Zeit wach zu halten. Diese Woche habe ich so richtig den Eindruck bekommen, was der Arztberuf manchmal mit sich an Stress und Anstrengung alles bringen kann.

Zum Glück sieht es nächste Woche schon anders aus: Durch meinen heutigen Einsatz habe ich nicht nur die große Dankbarkeit der Ärzte, sondern auch einen freien Montag ergattert. Dienstag und Mittwoch bin ich auf Station, Donnerstag ist wieder der Notarzt-Tag. Freitag (hoffentlich) fürs Lernen und den Nachtdienst reserviert.

Danach bleibt mir wiederum nur noch eine Woche, und der Wechsel in die Chirurgie steht bevor. Einerseits sehr schade, denn so ein Arbeitsklima wie jetzt (wo ich mich wie eine Ärztin fühle und auch so behandelt werde) bekomme ich dort sicher nicht. Andererseits wird es mein letztes Tertial sein, die letzte Hürde vor der Zielgerade - dem Examen.

Freitag, 15. März 2013

Woche 29. Hose runter!

Als wir im 1. Semester zu einer unserer ersten praktischen Übungen (eine gängige Unterrichtsmethode im Reformstudiengang, für alle anderen - sowas wie UAK) auf einer ITS waren, haben wir auch eine Patientin besucht, die uns von ihrem Leiden erzählte. Ihre Diagnose weiß ich nicht mehr, aber ich erinnere mich noch deutlich daran, wie eine Mitstudentin empört war, weil sie den nötigen Respekt gegenüber der Patientin beim dort gewesenen Personal vermisst hatte: "Sie lag da so vor uns, und ich konnte voll in ihren Schambereich blicken! Was denken sie sich denn?"

Leider ist es ziemlich häufig in der Medizin, dass aufgrund mangelnder Zeit oder fehlender Einsicht Patienten häufig wie Maschinen behandelt werden, ohne Rücksich auf ihre Privatsphäre. Im Krankenhaus gibt es praktisch nichts davon: Erstens, liegen nicht alle in einem Einzelzimmer. Zweitens, gibt es keine Garantie, dass im nächsten Moment nicht jemand hereingeplatzt kommt, ohne vorher zu klopfen. Den gewöhnlichen Tagesablauf zu Hause muss man über den Haufen werfen. Du gehst später ins Bett, schläfst dafür am Morgen länger? Kannst Du vergessen, um 6 Uhr morgens werden bei jedem Temperatur und Blutdruck gemessen, und danach kommt Frühstück. Wenn Du Dich damit schwer tust, ist es eben Dein Problem.

Ebenfalls bei den Untersuchungen: Bekanntermaßen tragen die Patienten vom Krankenhaus gestellte Nachthemde, die meistens noch kaputte Knöpfe haben und sich nicht zumachen lassen, Unterwäsche muss weg bleiben. Manche Ärzte haben kein Problem damit, einem im Bett liegenden Patienten ohne zu fragen sein Hemd bis zu dem Unterkiefer hochzuziehen, um den Bauch abzuhorchen. Nur wenige denken daran, wenigstens seinen Schambereich mit einem Tuch abzudecken, auch nicht, wenn noch eine Herde Studenten dabei ist.

Ich bin dafür, dass jeder Mensch auch im Krankenhaus ein Mensch bleiben kann. Und da gehört eben die Privatsphäre auch dazu. Deshalb ist es so wichtig, jedes Mal zu klopfen, wenn man in ein fremdes Zimmer geht, oder mal in eine andere Richtung zu schauen, wenn der Patient sich gerade zur Untersuchung auszieht. Denn so oder so, früher oder später müssen wir alle auf die andere Seite der Nadel wechseln und werden auch Patienten sein.

Freitag, 8. März 2013

Woche 28. Schicksale der Menschen

Es ist unabdingbar, Menschengeschichten zu erfahren, wenn man in einem dermaßen sozialen Beruf wie Medizin tätig ist. Auf den ersten Blick gewöhnliche Leute zeigen vollkommen unerwartete spannende Seiten, sobald mal etwas tiefer gräbt.

Da gibt es zum Beispiel einen 83-jährigen Mann, der neulich seinen 100. Tag auf der Intensivstation "gefeiert" hat. Drei Monate lang musste er vom Gerät beim Atmen unterstützt werden, endlich kann er das selber probieren, bekommt auch seine Stimme zurück und erzählt, dass er mit seiner Frau über 50 Jahren glücklich verheiratet war, und alle Freunde wunderten sich und fragten, wie sie das machten, wobei das Geheimnis einfach ist: "Man muss auch in der Beziehung ein Mensch bleiben".

Es gibt auch einen anderen Mann, gerade 32-jährigen. Vor einigen Jahren hat er Krebs bekommen und sein Brustkorb musste bestrahlt werden. Der Krebs ging weg, aber sein Herz hat dabei extrem gelitten und 3/4 seiner Funktion verloren. Als dieses Jahr die Grippe wieder rumging, hat es ihn voll erwischt: Influenza-Pneumonie, später noch mit Pneumokokken dazu. Seit Mitte Januar ist er auf unserer Station, die Ärzte kämpfen mit allen erdenklichen Mitteln um sein Leben. Die Besserung bleibt leider trotzdem aus, seine Lunge baut sich wegen der künstlichen Beatmung langsam zu Bindegewebe um. Die Prognose ist also infaust, und das bei einem so jungen Mann. Dass er dabei noch allenerziehender Vater eines fünfjährigen Kind ist, raubt uns allen die Sprache.

Ein Gegenbeispiel kann unser neuer Patient liefern, der gerage diese Woche aufgenommen wurde. Ein ebenfalls junger, 33-jähriger. Er liegt auch im künstlichen Koma, ist intubiert. Seine Leber fällt langsam auseinander, vom Hepatits B und Hepatitis C gefressen. Eine Pankreatitis hatte er auch schon, jetzt ist er vor allem wegen der Pneumonie da. HIV ist noch nicht ausgeschlossen. Der Grund für sein Leiden: Exzessiver Alkohol- und Heroinkonsum. Seine Familie: Lauter Akademiker, Vater Arzt, Bruder Professor.

Es gäbe noch viel mehr zu erzählen, schließlich ist jeder Mensch einzigartig, und seine Geschichte nur einmalig. Und das bedeutet, dass wir von unseren Patienten auch eine Menge lernen können.

Freitag, 1. März 2013

Woche 27. Cui bono?

Vor 1-2 Jahren habe ich mal ein Interview mit Philipp Rösler gelesen, als er noch Gesundheitsminister war. Die Journalistin erwähnte das Thema des praktischen Jahres und seiner Vergütung. Darauf kam die Antwort: Das praktische Jahr sei ein Teil des Studiums, das Hauptziel solle im Erlernen praktischer Fertigkeiten liegen, und eine Vergütung sei damit überflüssig.

Damals schon fand ich die Antwort unmöglich. Meine nächste Frage wäre "Was tun, wenn es auf der Station keinen Unterricht gibt?" gewesen.

Diese Woche habe ich viel über dieses Thema nachgedacht. Klar, einerseits kann ich es schon verkraften, dass meine Uni jegliche finanzielle Unterstützung ihrer PJ-ler vehement ablehnt und es sogar den Lehrkrankenhäusern verbietet. Dabei sind Studenten hier voll eingeplante Arbeitskräfte, machen viel, werden praktisch wie Ärzte eingesetzt, und wenn irgendwo auf einmal einer fehlt, bricht die Stationsarbeit beinahe zusammen.

Ich sehe es ein, dass ich noch Studentin bin und viel lernen muss. Ich verzichte gerne auf Bezahlung, wenn ich dafür vernünftigen Unterricht und Lehrvisiten bekomme, es ist eben ein Prozess des Gebens und Nehmens. Dass ich dabei auf der Station nicht nutzlos rumsitze, sondern den Ärzten einen ordentlichen Teil ihrer Arbeit abnehme, ist ebenfalls klar.

Das Problem ist aber, dass eben viele Ärzte ihren Teil der Abmachung vergessen. Statt Lehrvisiten kriege ich noch mehr Aufgaben: "Mach mal schnell eine BGA", "Schreib doch noch ein EKG im Zimmer 11", "Gehst Du jetzt das Sono-Gerät von der Nachbarstation holen?" usw. Manche scheuen sich nicht mal davor, mich mit solchen und ähnlichen Sachen zu überrumpeln, während sie sich selbst schon für den Feierabend umgezogen haben und bereits in der Tür stehen. Sich am nächsten Tag dafür bedanken? Nie gehört.

Klar, nicht alle sind so. Einer meiner Lieblingsärzte, der besonders gerne Lehrvisiten macht, sagte mal zu mir: "Meine Motivation für die Lehre ist ganz einfach: In 20 Jahre liege ich selber auf der Station, und Ihr müsst mich behandeln. Es ist praktisch wie eine Investition in die Zukunft".

Es ist nur schade, dass nicht alle seiner Meinung sind. Oder sie denken vielleicht nicht an die Zukunft? Ich tue es auf jeden Fall: Nur noch 7 Monate bis zur Prüfung...