Freitag, 25. Januar 2013

Woche 22. An die Grenzen gehen

Das eine Bild vom Arzt und Arztberuf, das jedem wohl präsent ist, ist das von einem Heiler, ja von einem Halbgott in Weiß.

Was passiert aber, wenn die Therapie nicht einschlägt und der Patient trotz aller Bemühungen stirbt? Oder eine andere Situation, zu der vielleicht jeder ein Beispiel aus dem klinischen oder auch familiären Alltag hat: Der 98-jähriger Uropa aus dem Pflegeheim ist synkopiert, wird in die Notaufnahme eingeliefert und soll nun eine neue Herzklappe bekommen.

 
Wir lernen im Studium sehr gut, wie man mit kranken Menschen umgehen muss, um ihnen zu helfen und sie zu heilen. Differentialdiagnosen, Bildgebung, aufwendige Laborparameter - modernste Technologien in Diagnostik und Therapie. Was im Studium allerdings definitiv viel zu kurz vorkommt, ist der Umgang mit dem Tod. Denn ob wir das wollen oder nicht, er ist nun das logische Ende jedes einzelnen Lebens, und ihm ist bisher keiner entkommen.

Doch wir ziehen unsere weißen Kittel an und glauben, dadurch viel mächtiger geworden zu sein. Keine Frage, in vielen Situationen klappt es mit unserer Überredungskunst, und der Tod gibt nach. Aber früher oder später kommt der Moment, da müssen wir eine Decke über unseren Patienten ziehen und den Totenschein ausfüllen.

Wie geht man mit dieser Erfahrung um? Wie kann man den Moment erkennen, wo alle Anstrengungen keinen Sinn mehr ergeben und man den Patienten einfach in Ruhe lassen soll? Viele Studenten und junge Ärzte haben es nie gelernt, dass irgendwann Schluss sein muss, und dann häufen sich unzählige Eingriffe auf höchstem Niveau bei einem schon sehr alten Patienten, der ein erfülltes Leben hatte und nun nur eins wünscht, im Frieden zu sterben.

Angetrieben von den Maschinen, muss er aber weiter leben, sein Herz wird vom Schrittmacher stimuliert, die Atembewegungen kommen durch den Druckunterschied, vom Beatmungsgerät erzeugt, und die Nierenfunktion übernimmt die Dialyse. Sterben ist unmöglich geworden, doch wie viel vom Leben hat das Gegenteil?

Durch meine Arbeit auf der Intensivstation muss ich mich auch mit solchen Fragen auseinandersetzen. In den letzten zwei Wochen sind vier Patienten gestorben, darunter auch einer aus dem Zimmer, das ich mal selber betreut hatte. In diesem Falle wussten die meisten, dass es bald passiert wird, die Krankheit war viel zu sehr fortgeschritten. Doch für mich ist es immer noch schwierig, es zu verkraften, denn ich habe insgeheim noch auf mein Fachwissen und meinen weißen Zauberkittel gehofft.

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