Freitag, 26. Juli 2013

Woche 48. Endlich geschafft!!!

So unvorstellbar wie es auch sein mag:

Ich habe es geschafft!!!

Ich kann es selbst noch nicht ganz glauben: Die längsten 48 Wochen meines Lebens sind vorbei. Sie waren aber nicht die schlimmsten - ich muss schon immer wieder schmunzeln, wenn ich daran zurück denke. Es gab viele schöne Erlebnisse, aber auch einzige nicht so schöne.

Egal - wenn ich das nächste Mal eine Station betrete (abgesehen vom Schlaflabor), wird es entweder zur praktischen Prüfung oder im Rahmen von Bewerbung sein. (Es ist aber natürlich nicht ausgeschlossen, dass ich die Abschlussprüfung nicht schaffe und eins oder mehrere Tertiale wiederholen muss, aber daran möchte ich jetzt lieber nicht denken!)

Von diesem Moment an widme ich mich ganz und gar der Prüfungsvorbereitung (damit die besagte Situation gar nicht erst eintritt!) und muss nicht mehr jeden Tag um 5.30 aufstehen! Ach, das Leben kann nicht schöner werden, ich bin wirklich glücklich, dass dieser Abschnitt meines Lebens nun vorbei ist.

Ich muss aber auch sagen, dass es mir sehr viel Spaß gemacht hat, den Blog zu schreiben. Ich denke, ich werde es auch weiter tun (mal schauen, ob ich die Regelmäßigkeit auch einhalten kann).

Also - bis ganz bald auf diesen Seiten!

Freitag, 19. Juli 2013

Woche 47. Heil und heiter?

Es ist schön, wenn aus kranken Menschen wieder gesunde werden. Darin hat man als Arzt auch die höchste Zufriedenheit. Dafür pauken wir ununterbrochen 6 Jahre lang (und noch eine Ewigkeit danach), um eines Tages das gesamte Fachwissen einsetzen und jemanden wieder lächeln sehen zu können. Oder?

Die Anhänger der Unfallchirurgie werben für ihr Lieblingsfach nicht zuletzt mit den Sätzen wie "Hier sehen wir sofort den Effekt unserer Handlungen!" oder "Wofür die öden Blutabnahmen, auf dem Röntgenbild ist eine Fraktur, schnell in den OP!". Alles in allem, "There is a fracture. I need to fix it!".

Und so wird es dann auch meistens gehandelt: Immer wieder habe ich erlebt, wie Patienten aus der Notaufnahme direkt in den Operationssaal befördert werden und wenige Stunden später mit einem frischen Marknagel / einer Platte / mehreren Schrauben auf der Station landen. Die stationäre Frakturnachsorge wird durchgezogen, und danach geht der Patient nach Hause.

Und hier fangen die Probleme schon an. Die behandelnden Ärzte auf der Station kümmert der weiteren Verlauf daheim eher wenig (wie soll es denn anders sein, es ist ja schließlich nicht ihre Aufgabe). Dem Patienten wird empfohlen, sich zur weiteren Nachsorge einem niedergelassenen Orthopäden vorzustellen. Wenn eine Rehabilitationsmaßnahme notwendig ist, gibt es eine zuständige Sozialarbeiterin.

Das war's schon, im Prinzip. Der Visitenwagen wird weiter geschoben, die nächste Zimmertür geht auf. Es wird aber schon ab und an übersehen, dass dem Patienten währenddessen schon die Tränen in den Augen stehen. "Eine Rehabilitation kommt für mich nicht in Frage, sagen Sie. Wie soll ich denn mit dem Bruch alleine zu Hause klar kommen?"

Solche und ähnliche Fragen werden nach Möglichkeit umgangen. Der Stationsarzt hat ja schließlich so viel zu tun, er kann sich nicht darum kümmern, wer die Einkäufe tätigt und das Essen kocht. Dieser Aspekt der Nachbehandlung geht leider viel zu häufig unter. Und ich habe zwar voll das Mitgefüht mit den betroffenen (meist allenstehenden) Patienten, kann mir aber auch nicht vorstellen, wie ich da helfen kann. Mir bleiben nur stille Gewissensbisse, während ich dem Visitenwagen und der restlichen Truppe hinterher eile.

Freitag, 12. Juli 2013

Woche 46. Wie wichtig nun die Sicherheit ist

Diese Woche ist etwas unglaubliches passiert. Ich war das erste Mal richtig froh, dass ich diese Einmalhandschuhe anhatte.

Ihr wisst wie es ist: In diesen komischen Gummidingen spürt man eher nichts. Blutabnehmen wird schon schwer genug, von einer Flexüle ganz zu schweigen. Und dann wird jedes Paar nach jedem Patienten weggeschmissen - auch eine Verschwendung an sich.

Im Praxistag im 2. Semester, bei dem ich einmal pro Woche für einen Vormittag in einer allgemeinmedizinischen Praxis hospitierte, hat mir die Praxisärztin das Blutabnehmen ohne Handschuhe beigebracht. "Wenn ich mir die Nadel in die Hand steche, dann steche ich auch durch die Handschuhe durch, die bringen nichts" - das war ihre Argumentation.

Im Laufe der Ausbildung habe ich mich mal mehr mal weniger daran gehalten, denn - nun wirklich! - so oder so, ich steche durch!

Klar, bei eindeutig infektiösen Patienten und / oder sichtbaren Venen habe ich auch mal Handschuhe angezogen, zum Teil um auch mein Gewissen zu beruhigen. Bei eckligen Aufgaben wird gar nicht drüber nachgedacht: Handschuhe an!

Diese Woche bin ich von einer Schwester zu einer Patientin gerufen worden, bei der die Fäden im OP mit viel Kraft zugezogen wurden und die Knoten nun praktisch im Hautniveau versunken waren.

Ich war die einzige mehr-oder-weniger-Ärztin auf der Station, die beiden anderen waren im OP bzw. in der Rettungsstelle. Und so war ich natürlich sehr stolz, dass die Schwester sich an mich gewendet hat und wollte dann auch nicht kneifen. Ich nahm das Skalpell in eine Hand, die Pinzette in die andere - fertig war die Ausrüstung.

Die Knoten waren wirklich hartnäckig. Die Schwester kümmerte sich um die Patientin, nahm ihre Hand. Drei Fäden habe ich inzwischen schon gezogen, der letzte blieb drin und wollte sich nicht entfernen lassen. Na warte, ich greife ich so und ziehe, und jetzt kann ich schneiden...

In dem Moment rutschte mein Skalpell ab und glitt blitzschnell Richtung Pinzette und linker Hand. Ich habe die Berührung der scharfen Klinge mit den Fingern gespürt. Sofort sah ich vor meinem inneren Auge, wie ich mich beim Kollegen in der Rettungsstelle vorstellen muss, wie ich auch "ein BG-Fall*" werde, Blutabnahmen zur Hepatitis-Serologie, HIV-Test etc.

Ich nahm meinen Mut zusammen und schaute auf die linke Hand. Das erste, was ich sah, war ein Fetzen vom Handschuh, der nun an meinem Zeigefinger runterhing. Sofort zog ich den Handschuh aus: Kein Blut, keine Verletzung an der Haut, nichts! Und das, obwohl die Skalpellklingen wirklich die absolut schärfsten Klingen sind, die ich in meinem Leben je gesehen habe.

Sofort war ich erleichtert. Vielen Dank, lieber namenloser Handschuh, Du hast mir echt sehr sehr viele Unannehmlichkeiten gespart!

PS: Und meine Philosophie mit Handschuhen beim Blutabnehmen werde ich auch ernsthaft überdenken.

PPS: Den letzten Faden habe ich doch noch rausgekriegt! Die Schlaufe war höchstens 1 mm im Durchmesser, der Knoten fiel einfach aus der obersten Hautschicht raus, ohne Durchschneiden.

---
* BG - Berufsgenossenschaft, Versicherungsträger u.a. bei Unfällen am Arbeitsplatz

Freitag, 5. Juli 2013

Woche 45. Der Lebensabend

"Die Menschen werden immer älter", - das hört man inzwischen recht häufig, auch unter Nichtmedizinern. Und es stimmt: Es reicht, sich die Patienten auf einer Station anzuschauen. Sogar in einem so altersstufenübergreifenden Fach wie Unfallchirurgie lässt es sich mehr als deutlich nachweisen.

Zum Beispiel Rettungsstelle: Eine sehr häufige Patientengruppe dort kommt tatsächlich aus den Altersheimen. Meistens nach einem Sturz, an den sie sich auch nicht mehr erinnern. Viele sind dement, liegen auf der Trage und sind total in ihrer eigenen Welt versunken, ohne sich für uns zu interessieren.

Diese Beobachtungen haben mich viel zum Nachdenken gebracht. Der Lebensabend oder das hohe Alter, egal wie man es nennt, erwartet jeden Menschen - so oder so. Als Ausnahme gilt, man kann ja immer noch früh sterben, aber darüber möchte ich hier lieber nicht sprechen.

Es geht also um die Omas und Opas, die manchmal sogar noch den ersten Weltkrieg miterlebt haben. Viele sind über 85, manche über 90, wenige haben ein dreistelliges Alter erreicht. Ein komisches Gefühl kommt immer in mir hoch, wenn ich solche betagten Menschen sehe.

Ich denke mir nämlich jedes Mal, dass sie ja auch mal jung und voller Hoffnung waren. Diese kleine Frau, die jetzt zusammengekauert in ihrem Bett liegt und wie ein Häufchen Elend aussieht, war auch mal ein kleines Mädchen und hat jeden Tag aufs Neue mit Energie und Wissbegierde die Welt entdeckt. Sie war jung und bestimmt hübsch - das sieht man ihr immer noch an. Sie hat einen Mann getroffen, hat sich in ihn verliebt und heiratete ihn im Endeffekt. Die Szenen sehe ich vor meinem inneren Auge: Zum ersten Mal zieht sie das Brautkleid an. Passt der Schleier dazu? Haben wir bei der Feier an alles gedacht? Nein, er darf mich im Brautkleid vor der Trauung nicht sehen, das bringt Unglück!

Nach der Hochzeit blüht sie auf und freut sich auf die Kinder. Sie ist im besten Alter und kann alles schaffen. Wenn sie Glück hat, kommt ihr Mann sogar nach dem Krieg zu ihr zurück. Ab jetzt wird alles besser sein.

Die Jahre und die Jahrzente vergehen wie im Flug. Zum ersten Mal wird sie Großmutter, auch wenn sie noch nicht mal 60 ist und sich immer noch jung fühlt. Wenn da bloß nicht diese Vergesslichkeit wäre...

30 Jahre später liegt sie auf der Trage in unserer Rettungsstelle. Sie wohnt jetzt in einem Heim und erkennt nicht mal ihre Kinder wieder: Die Demenz hat sich in ihrem Kopf breit gemacht und alle Erinnerungen gefressen. Sie kam ins Krankenhaus, weil sie im Bad ausgerutscht ist - eine häufige Geschichte. Die Ärzte in der Unfallchirurgie verstehen ihr Handwerk gut: Am nächsten Tag ist sie schon eine stolze Besitzerin eines neuen Hüftgelenks. Hat sie das überhaupt bemerkt? Was kriegt sie von der Außenwelt noch mit? Wie können wir, außenstehenden, am besten zu ihr durchdringen? Müssen wir das überhaupt? Ist sie glücklich in ihrer Welt?

Solche Fragen gehen mir durch den Kopf, wenn ich diese oder eine änliche Geschichte immer und immer miterlebe. Es passiert immer häufiger: Die Menschen werden eben älter, das merkt man doch.