Wir sind alle Menschen und anatomisch und physiologisch gesehen relativ gleich. Eine EHEC-Infektion würde sowohl einen Obdachlosen als auch einen Minister auf die Intensivstation befördern. Windpocken machen keinen Unterschied zwischen einer Prinzessin und einem Waisenkind. Wenn man ungeschickt vom Fahrrad fällt, brechen auch die hochgeborenen Knochen.
Und trotzdem scheinen Prominente weit über der Krankheitswelt zu schweben. Da man ihnen im Alltagsleben selten begegnet, scheinen sie auf einem anderen Planeten zu leben, wo es keine (oder nur selten) Krankheiten und Krankenhausaufenthalte gibt.
Umso interessanter wird es, wenn die Rettungsstelle plötzlich zum Empfangszimmer hoher Gäste wird. Gleich fühlt man sich mit der Weltpolitik verbunden.
So war es diese Woche, als wir die Frau eines spanischen Diplomaten behandelt haben. Sie hatte einen Fahrradunfall und hat sich dabei ganz böse die Speiche gebrochen, so nah am Ellenbogen, dass das eine Ende vom Knochen vom Rest ganz getrennt wurde und in zwei Stücken zerbrochen da lag.
Dabei war die Frau noch nie operiert worden und dementsprechen ganz aufgebracht. Sie wollte nicht mal einer CT-Untersuchung zustimmen, nur mit einem Gips nach Hause. Doch ihr Mann und ihre Tochter haben auf sie zugeredet und sie mehr oder weniger beruhigen können.
Ihren Gips hat sie bekommen, mehr konnte man in der Rettungsstelle eher nicht machen. Am nächsten Tag kam sie zur Kontrolle wieder und hat dann auch der Operation zugestimmt.
Im OP war ich auch dabei und kann sagen: Es war eine ganz knifflige Sache! Der Chefarzt hat operiert und ist dabei auch ins Schwitzen gekommen. Er hat die beiden Fragmente vom Kopf der Speiche aus dem Arm rausgeholt und sie mit kleinen Schrauben aneinander fixiert. Danach kam der schwierige Teil: Alles mit dem Knochen verbinden. Ich habe den Arm gehalten und musste drehen und ziehen, bis es endlich soweit war und der Chefarzt zustimmend nickte.
Die Patientin musste noch einige Tage stationär bleiben, an ihrem letzten Tag bei uns hatte sie Geburtstag. Die Ärzte bei der Visite haben ihr ein "Happy Birthday"-Lied gesungen. Ob es auch zu einer VIP-Leistung gehört, weiß ich nicht.
PS: Ich fange inzwischen langsam an, meine Meinung über den Chefarzt zu ändern. Bei den Operationen sehe ich, dass er sich auch vor den schwierigsten Sachen nicht scheut. Sein Team respektiert und bewundert ihn, was kann man denn sich sonst noch wünschen?
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