Mittwoch, 30. Dezember 2015

Auf Wiedersehen, Kardiologie!

So schnell ist die Zeit vergangen - heute war mein letzter Arbeitstag in der kardiologischen Abteilung. Die ganze letzte Woche konnte ich es mir nicht vorstellen, hier bald weg zu sein - und heute habe ich mein Fach ausgeräumt, und es ist plötzlich Wirklichkeit geworden.

In diesen sechs Monaten habe ich sehr viel gelernt. Natürlich, vor allem fachlich - obwohl Kardiologie im Studium mein absolutes Lieblingsfach war, sieht die klinische Arbeit doch etwas anders aus! Aber auch (zwischen)menschlich bin ich enorm weiter gekommen.

Ich habe gelernt, wie man Zusammenarbeit mit anderen Menschen gestalten kann, habe Freundschaften geschlossen und meine Kenntnisse im Zeitmanagement weiterentwickelt. Ich habe auch gesehen, wie Kollegialität im Arztberuf funktionieren kann und dass man nur an einem Strang ziehen muss, um sich gegenüber der Verwaltung durchzusetzen!

Natürlich war nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen, es gab auch schwierige Zeiten, in denen ich eben auf die Hilfe der Kollegen angewiesen war. Wenn ich jetzt aber auf die vergangene Zeit zurückblicke, wird es mir warm ums Herz.

Vielen Dank für die tolle Zeit an alle, die sie mit mir verbracht haben! Vielen Dank für alles, was ich bei und von Euch lernen durfte. Dieses Kapitel meines Lebens ist nun abgeschlossen, es fängt ein neues an.

Dienstag, 10. November 2015

My body, my rools

Die Unversehrtheit des eigenen Körpers: Heutzutage eine ganz selbsverständliche Sache (war übrigens nicht immer so, aber mehr dazu im Geschichtsunterricht). Deswegen müssen sich die Ärzte mit den unendlichen Aufklärungsgesprächen abquälen und dürfen diese nicht mal an Schwestern oder Medizinstudenten delegieren. Deswegen kriegen die Patienten meistens noch vor der geplanten Aufnahme ins Krankenhaus einen riesigen Stapel Papiere in die Hand gedrückt, bestehend aus etlichen Aufklärungsbögen, mit dem Hinweis, diese unbedingt noch vor dem ärztlichen Gespräch durchzulesen. Viele - vor allem ältere - haben dann so viel Vertrauen in das medizinische System, dass sie alles ohne weiteres bereits unterschrieben zurückbringen. Spart im Alltag zwar Zeit, ist aber als rechtliche Grauzone eher kritisch zu sehen.

Nun ja, diese ganzen aufwendigen Vorbereitungen dienen im Prinzip nur einem Zweck: Der Patient soll über den geplanten Eingriff oder die geplanten Untersuchungen möglichst umfassend informiert sein, um selbst entscheiden zu können, ob er dem nun zustimmt oder nicht. Klar, dass keine sechs Jahre Studium auf ein Blatt Papier kommen, aber es ist schon ein Schritt in die richtige Richtung.

So ist im Wesentlichen mein Gedankengang, wenn ich mich als Ärztin zu einem Aufklärungsgespräch begebe. Im Studium haben wir es schon geübt: Begrüßung, Vorstellung, Wahl der geeigneten Sprache ohne Fachausdrücke, gibt es noch offene Fragen am Ende? Ich kann zwar nicht zu jeder möglichen Untersuchung alle auch noch die kleinsten Risiken runterbeten, versuche aber schon das Wichtigste zu schildern.

Neulich habe ich mich mit einer alten Familienfreundin getroffen. Eigentlich ist sie die Freundin meiner Eltern und gehört daher streng genommen in deren Generation. Ich mag sie aber auch sehr gerne und treffe sie so oft ich kann (was eher so alle 1-2 Jahre geschieht, da zwischen unseren Wohnorten ca. 600 km liegen). Sie ist examinierte Krankenschwester vom Beruf und erzählt gerne und viel von ihrer Arbeit. Außerdem ist sie unverkennbar die gute Seele der Familie und wird wegen ihrer fachlichen und sprachlichen Kenntnisse gut und gerne von den zahlreichen Verwandten zu den Arztbesuchen mitgenommen.

Sie erzählte mir von einer Verwandten, die sie jetzt regelmäßig in verschiedene Arztpraxen und Krankenhäuser begleiten muss. Bei der Frau wurde neulich Brustkrebst festgestellt, leider schon metastasiert und daher nicht operabel.

Alles an sich sehr traurig. Nun muss sie Chemotherapie und Bestrahlung über sich ergehen lassen und wird wahrscheinlich nie wieder gesund. Solche Schicksale habe ich leider auch häufig auf meiner Krebsstation gesehen. Was mich hier aber stützig gemacht hat: Von ihrer Diagnose weiß die Frau nicht. Die Freundin, die mir das erzählte, betonte, dass sie ihr bewusst nichts davon gesagt hatte und das auch in der Zukunft nicht machen wird. Und die Patientin spricht nicht so gut Deutsch um das ganze ohne Hilfe zu verstehen.

Den Gedanken dahinter kann ich schon nachvollziehen. Die Freundin will ihre Verwandte schützen und ihr die letzte Zeit auf dieser Erde (Monate? Jahre?) nicht mit dem Urteil "Krebs" versäumen. Ich frage mich nur, inwieweit es der Frau gegenüber fair ist. Es ist schließlich ihr Körper, und theoretisch hätte sie schon Recht zu erfahren, was da los ist.

Was aber für mich nun eine nachdenkenswerte Frage ist, dürfte für die Generation meiner Eltern gar nicht zur Diskussion stehen. Denn das Recht auf die Unversehrtheit des Körpers, auf Einbeziehung in den Heilungsprozess, auf die gemeinsame Entscheidungsfindung ist eben nichts selbstverständliches und wird erst seit relativ wenigen Jahren in der Schulmedizin praktiziert. Als meine Mutter jung war, durfte man als Laie nicht mal die eigenen Blutdruckwerte erfahren, und Arztbriefe wurden in verschlossenen Umschlägen mit Aufschrift "Vertraulich" verschickt. Es gehörte zum Alltag, schlimme Diagnosen wie eben Krebs vom Patienten so lange wie möglich geheim zu halten.

Es hat beides seine Vor- und Nachteile. Manche Menschen scheinen mit zu vielen Informationen tatsächlich eher überfordert zu sein und blenden alles wieder aus, sobald das Gespräch vorbei ist - ein Schutzmechanismus unserer Psyche, gar nicht so sinnlos. Den einen richtigen Weg für alle gibt es halt nicht, wir sind alle zu unterschiedlich. Ich freue mich aber, dass ich in der Gesellschaft lebe, wo ich über meinen Körper frei verfügen und mit dem behandelnden Arzt (fast) auf Augenhöhe reden kann. Auch wenn es noch mehr lästige Aufklärungsgespräche für beide Seiten bedeutet - sei es drum.

Mittwoch, 26. August 2015

Die Herzenssache

Au weia, ist es eine Ewigkeit her, seit ich mich das lezte Mal meinem armen Blog gewidmet habe! Und dabei ist in der letzten Zeit wirklich sehr viel passiert. Ich fasse mal kurz zusammen.

Ganz vorne und ganz wichtig: Seit dem 1. Juli befinde ich mich in meiner ersten Rotation. Was es ist - ganz einfach. Auf meinem Weg zum Facharzt für Kardiologie (was ich eigentlich schon seit dem Beginn des Studiums werden will) bzw. für Pneumologie (wofür ich jetzt jedoch eher die Chance habe) muss ich außer der jeweiligen Wahlfachrichtungen auch jede Menge anderer sinnvoller Beschäftigungen gemeistert haben. So will es die Ärztekammer (und sie entscheidet im Endeffekt, wer alles Facharzt sein darf und wer nicht).

Es ist festgelegt, dass eine Fachrichtung für die Höchstdauer von einem Jahr anerkannt wird - so nach dem Motto, nach 12 Monaten beherrscht Du sie eben schon. Tja, und dementsprechend hüpfen junge Mediziner auf Stationen hin und her. Wer Glück hat, in einem großen Haus angestellt zu sein, braucht nur eine Absprache mit dem Chefarzt. Wer nicht, der muss nach außerhalb rotieren - so wie ich halt.

Das kleine Lungenfachkrankenhaus, wo ich seit dem letzten Jahr angestellt bin, verfügt außer der pneumologischen nur über eine thoraxchirurgische Abteilung (FACHkrankenhaus eben). Chirurgie würde mir theoretisch auch anerkannt werden, da stehe ich aber in der Warteschlange sehr sehr weit hinten. Es war also von Anfang an klar, dass ich irgendwann in ein anderes Krankenhaus muss.

In dieser Vorschrift habe ich die Chance gesehen, meiner langjährigen geheimen Liebe - der Kardiologie - nachzukommen (nach dem Studium hat es ja mit uns nicht so wirklich geklappt). Die andere Hoffnung war, den Arbeitsweg von nun knapp 1,5 Stunden auch nur ein wenig verkürzen zu können.

Aus diesen beiden Gründen habe ich mich bereits ein halbes Jahr im Voraus um einen Tauschpartner in nahe gelegenen Kliniken (d.h. im Umkreis von 15 km) bemüht. Die Erfolge... naja... waren dabei eher spärlich. Eine einzige Partnerin habe ich gefunden - keine Kardiologie, nein, dafür Nephro - die sogar zu einer Hospitation in meine Klinik kam. Lange habe ich dann auf ihre Rückmeldung gewartet, bis ihr Oberarzt mir schrieb, dass sie kein Interesse mehr an einem Tausch habe. Warum und wieso - weiß ich bis heute nicht mehr.

Es war im Endeffekt purer Zufall, der mich dahin gebracht hat, wo ich jetzt bin. Ein Kollege, der bereits Anästhesist ist und nun auch Internist werden will, sprach meinen Chef an. Er fragte mich, ob ich Interesse habe, und wenige Wochen später hielt ich den neuen Vertrag in der Hand.

Ich bin mit dem Tausch sehr zufrieden. Mal abgesehen von der fachlichen Weiterentwicklung (und das auch in dem Fach, das sowieso seit dem ersten Semester meine Herzenssache ist!), lerne ich hier, wie anders eine Klinik funktionieren kann. In der neuen Abteilung werden alle gedutzt (nur den Chef spricht man per Sie an), es gibt ein eigenes Labor im Hause, es gibt KEIN Belegungsmanagement (und das heißt keine Leute ohne medizinischen Abschluss, die mir vorschreiben, wie lange der oder der Patient behandelt werden darf), es wird gemeinsam gefrühstückt und zu Mittag gegessen, vor Chef- oder Oberarzt-Visiten braucht man keine Angst zu haben, fertig gemacht zu werden, es gibt nur die Röntgenbesprechung, also keine Tumorkonferenzen oder andere Sitzungen- die Stimmung ist insgesamt sehr entspannt!

Mag sein, dass ich die Vorgänge hier eher durch eine rosarote Brille sehe. Wenn es mal ungemütlich wird, kann ich immer daran denken, dass der Tausch ja nicht ewig geht. Außerdem habe ich manchmal das Gefühl, als "Gast" eine Sonderbehandlung zu erfahren. Egal - ich merke, dass ich in der Kardiologie in meinem Element bin und hoffe, dass wir unsere Bekanntschaft auch nach Abschluss des Ausflugs noch weiter fortführen werden.

Freitag, 5. Juni 2015

Der Kreislauf des Lebens

Neulich ist auf unserer Station etwas passiert, was nicht so alltäglich ist und alle Beteiligten, glaube ich, ziemlich berührt und bewegt hat.

Es war so. Wir hatten einen Patienten - erneut dieses traurige Schicksal - jung, krebskrank, unheilbar. Die Diagnose lag schon ein oder zwei Jahre zurück, der Mann hatte sich bis dahin wacker geschlagen. Aber früher oder später musste auch dieser Moment kommen, wo der Lebenskampf mit dem Krebs eine andere Richtung einschlägt, und die Krankheit langsam die Oberhand gewinnt.

Dieser Umschlag kommt bei jedem Patienten mit unheilbarem Krebsleiden. Inwieweit die Niederlage von der Chemotherapie beschleunigt wird, kann ich nicht beurteilen. Aber sie trägt erheblich dazu bei (ist ja auch purer Gift!), und deshalb sagen wir bei ganz kraftlosen Patienten, sie sollen lieber eine Therapiepause einlegen, ohne Chemo überleben sie sogar länger.

Nun ja, der besagte Patient befand sich schon in der Drittlinientherapie. Das heißt, es war schon die dritte Kombination an Medikamenten, mit der wir versuchten, den Krebswachstum einzudämmen. Diese Kombination hatte er nur ein Mal erhalten und kam geplant zur Forführung.

Als ich den Namen auf der Stationsliste sah, wusste ich, dass ich den Patienten kenne, hatte jedoch auf Anhieb kein Gesicht vor dem inneren Auge. Im Patientenzimmer angekommen, erkannte ich ihn sofort und wusste - jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem er von der Chemo nicht mehr profitiert.

Normalerweise versuchen wir Leute in solcher Situation zu "päppeln" - sie werden mit Krankengymnastik, parenteraler Ernährung, Atemtherapie und so weiter unterstützt, um wieder zu den Kräften zu kommen, um weiter kämpfen zu können. Manchmal gelingt es. Manchmal nicht, und der Mensch gibt auf und verabschiedet sich in die letzte Reise.

Bei unserem jungen Patienten war ich eigentlich guter Dinge. Bei der Visite unterhielt ich mich immer lange mit ihm, um rauszufinden, ob wir ihm noch etwas gutes tun könnten. Es schien zu funktionieren: Er lief sogar ab und zu mit dem Rollator im Flur herum, und ich hoffte, er wird die Kurve noch kriegen.

Ich war ein paar Tage nicht in der Klinik, und als ich zurück kam, lag der Patient im Sterben. Die Kollegen erzählten mir, er sei Mitte letzter Woche plötzlich eingebrochen, und sie befürchteten schon, er wird sofort sterben. Dann hat er sich wieder berappelt, sodass alle dachten, die Krise sei nun vorbei, um am Sonntag wieder aufzugeben. Und am darauffolgenen Tag, als ich zum Dienst kam, war der Sterbeprozess schon im vollen Gange.

Es ist immer sehr schwierig, Leute beim Ableben zu begleiten, wobei der schwierigste Teil hier im Umgang mit den Angehörigen liegt. Unzählige Male schon musste ich jemandem am Telefon die traurige Nachricht überbringen, und dann miterleben, wie Leute am Hörer zusammenbrechen. Es gibt nichts, was in solcher Situation den Schmerz lindern kann. Ich versuche es trotzdem, auch wenn ich weiß, dass es nichts bringt, weil ich es einfach nicht lassen kann.

Und so war das auch diesmal. Am Bett des Patienten saß seine Ehefrau, völlig am Ende mit den Nerven, ununterbrochen weinend. Ich schaute mir den Mann an, um einzuschätzen, ob er Schmerzen hatte, und versuchte, ein paar tröstende Worter für die Frau zu finden. Sie nahm mich, glaube ich, nur am Rande wahr, was ich absolut verstehe und nachvollziehen kann. Leise schlich ich mich aus dem Zimmer wieder raus.

Später an diesem Tag kam die große Aufregung. Die Frau will den gemeinsamen Sohn den Papa noch besuchen lassen. Alle waren total empört - einen Fünfjährigen kann man doch nicht zu einem Sterbenden bringen! Es gab eine große Diskussion, inwieweit es noch gerechtfertigt ist und ob man der Frau das einfach nicht untersagen soll.

Am Ende durfte der Sohn seinen Papa noch sehen. Er kam aus der Kita und wollte sofort ins Zimmer rein. Das ging aber nicht - ein paar Kollegen aus dem Team der Sterbebegleitung wollten ihm vorerst erklären, was ihn jetzt erwartet.  Er hörte aufmerksam zu, ließ sich aber nicht einschüchtern. Im Zimmer angekommen, krabbelte er sofort auf das Bett und schaute dem Vater neugierig ins Gesicht.

In weniger als einer Stunde war es vorbei. Der Kleine durfte bis zu den letzten Atemzügen Papas dabei bleiben. Er schien den Vorgang nicht ganz zu verstehen, und wunderte sich, warum der Vater auf einmal nicht mehr atmet. Die Mutter sagte ihm: "Der Papa ist jetzt im Himmel", und weinte bitterlich.

Ich weiß nicht, wie die Geschichte weiter ging. Der kleine Mann wird irgendwann auch groß werden. Wird er sich an diesen Tag noch erinnern? Was genau wird ihm dabei im Gedächtnis bleiben? Wird er es als Segen oder als Fluch empfinden, dass er dem Vater bei den letzten Atemzügen zusah? Wie wird sich dieses Erlebnis auf seine Entwicklung auswirken?

Ich habe meinen ersten Toten auch mit fünf Jahren gesehen. Mein Opa war gestorben, und meine Mutter nahm mich zu allen damit verbunden Verpflichtungen mit - von Zubereitung des Trauermahls bis hin zum Begräbnis selbst. Ich weiß noch, wie ich den Opa im Sarg sah und wusste, dass er nicht mehr lebt. Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich damals auch darauf vorbereitet wurde und Erklärungen bekam. Ich wusste es einfach.

Ich habe dieses Erlebnis nicht als traumatisch in Erinnerung. Ganz im Gegenteil, dadurch konnte ich sehr früh lernen, dass Tod nun auch ein Teil des Lebens ist. Als in den nächsten 10 Jahren die anderen Großeltern sich verabschiedeten, nahm ich das auch einfach so hin. Erst als mein Vater starb, mit 58 Jahren und unerwartet, warf mich sein Tod komplett aus der Bahn, und ich brauchte eine Ewigkeit, um es mehr oder weniger verarbeitet zu haben.

Ich weiß wirklich nicht, wie es dem kleinen Jungen nun gehen wird. Ich hoffe, er wird das Gefühl behalten können, dass sein Papa immer bei ihm ist, wenn er ihn braucht - auch wenn bloß in seinen Gedanken. Es ist nicht schön, sich alleine auf der Welt zu wissen. Wir sind Kinder, solange unsere Eltern noch leben, und werden erwachsen, wenn sie die Welt verlassen. Der kleine Mann musste mit fünf Jahren schon den ersten Schritt in diese Richtung machen. Hoffen wir, dass der zweite erst Jahrzehnte später folgt.

Donnerstag, 7. Mai 2015

Das schöne Wort "iatrogen"

Dem Medizinstudium ist unter anderem eine erhebliche Größenzunahme meines Wortschatzes zu verdanken. Dank diesen sechs Jahren bin ich nicht nur bestens informiert, was sich hinter der Beschreibung "supranasale Hypoaxonie" verbirgt, sondern kann fast alles in meinem Leben auf Fachchinesisch wiedergeben.

Medizinisch ist tatsächlich eine Sprache an sich. Häufig wird sie verwendet, um schnell und effizient präzise Informationen auszutauschen. Aber ab und zu kommt sie auch in Form einer Geheimsprache zum Einsatz, wenn es darum geht, dass Patienten nicht umsonst alarmiert werden oder um etwas unschönes zu verschleiern.

In diesem Sinne greift man häufig zu dem schönen Wort "iatrogen" zurück. Denn dieses Wort bedeutet nicht mehr, als "durch einen Artz verursacht".

Wir wissen alle, dass es keine Medikamente ohne Nebenwirkungen gibt (und wer es immer wieder vergisst, wird von der freundlichen TV-Werbung darauf hingewiesen). Ich musste auch schon mehrmals den Schaden, der durch die von mir verschriebenen Tabletten entstand, mit eben noch mehr Tabletten ausgleichen. Bisher gelang es mir ziemlich gut. Doch meine größte Angst ist, dass das Glück eines Tages nicht mehr auf meiner Seite ist.

Das kann einem sehr schnell passieren. Egal was man tut - jetzt auch mal abgesehen vom Arztberuf - Fehler sind unvermeidbar. Aus Fehlern lernen wir, und die Erfahrung hilft uns, sie in der Zukunft mehr oder weniger zu vermeiden.

In meiner Lieblingsarztserie "Scrubs", die ich hier, glaube ich, auch schon ein paar Mal erwähnte, sagt man dem jungen Arzt J.D.: "Immer, wenn du deinen Dienst beginnst, stehst du mit einem Bein im Knast". Gerade Ärzte, die ja darauf trainiert sind, den menschlichen Körper zu verstehen, sind in bester Lage, ihm schlimme Schäden zuzufügen.

So einen Fall habe ich diese Woche erleben dürfen. Ich habe mit dem Patienten nichts zu tun, ich habe ihn weder betreut noch bin irgendwie anders an seinem Unglück schuld. Aber es tut mir so richtig an der Seele weh, einen jungen Mann so schnell und so plötzlich dahingleiten zu sehen. Ich kann nur hoffen, dass ich von diesem Schicksal, von der Gefährdung des menschlichen Lebens verschont werde.

Als Trost bleibt mir aber nur die Weisheit der alten Römer: Primum non nocere, zuerst einmal nicht schaden. Und daran halte ich fest. 

Freitag, 27. Februar 2015

Rest now, my warrior

Vor kurzem ist wieder ein Patient seinem Krebsleiden erlegen. Es war, glaube ich, der letzte von den Patienten, die ich damals vor einem Jahr als Frischling auf der Krebsstation behandelt habe.

Alter Soldat, sah er mit seiner schiefen Nase wie ein Profiboxer aus. Am Anfang hatte ich sogar wegen seiner schroffen Art richtig Angst vor ihm. Doch als wir uns im Laufe der zahlreichen stationären Aufenthalte besser kennen lernten, freundeten wir uns auch an.

Jedes Mal in der letzten Zeit, wenn er auf unsere Station kam, erhellte sich sein Gesicht zu einem warmen Lächeln. Er wollte nie zugeben, dass es ihm immer schlimmer ginge und dass er nun den Haushalt kaum bewältigen kann. Das verriet mir dann seine Frau. Während des gesamten Jahres konnte ich zusehen, wie er zunehmend schwächer wurde, und die Krankheit die Oberhand gewann.

In den letzten Monaten und Wochen ist von meinem tapferen Krieger nur ein Schatten übrig geblieben. Am Ende konnte er vor Schmerzen nicht mehr richtig laufen, saß im Rollstuhl und schob es mit seinen - immer noch - kräftigen Armen im Flur hin und her. Jeden Tag fuhr er so an die frische Luft - was natürlich so viel wie das Codewort fürs Rauchen bedeutet. Ich kam zur Arbeit, er saß unten vor der Tür und grüßte mich fröhlich.

Gegangen ist er ganz plötzlich (auch wenn der diensthabende bei der Übergabe es als "erwartet" bezeichnete). An einem Wochenende wurde die auch zuletzt schon bemerkbare Verwirrtheit immer doller, er versuchte, aus dem Bett zu kommen und stürzte wiederholt. Irgendwann ist er so schlapp geworden, dass er nur noch da lag. Und dann ist er dahingeschwebt.

Einerseits finde ich schade, dass ich ihn in den letzten Stunden und Minuten nicht begleiten konnte. Andererseits ist es sogar besser so: Es wäre so gewesen, als hätte ich einem Freund beim Sterben zusehen müssen. Denn das war er eindeutig: ein Freund.

Schlaf schön, alter Krieger. Deine Schlachten sind nun vorbei, und es ist jetzt nur die ewige Ruhe, die darauf wartet, dich zu umhüllen und zu verbergen. Schlaf schön. Das hast du dir verdient.

Sonntag, 15. Februar 2015

Die 12 Monate

Im Oktober letzten Jahres habe ich geschrieben, es passere gerade so viel, worüber ich berichten möchte, nur finde ich keine Gelegenheit dazu. Jetzt ist so eine Art Gegenteil eingetroffen, eine Zeit, die zwar nach wie vor mit Ereignissen gefüllt ist, die ich aber lieber in mich gekehrt zu verbringen vorziehe.

Mein Leben ist nach wie vor keine Routine, und ich treffe jeden Tag auf neue Herausforderungen. Vor zwei Wochen habe ich meinen ersten Jahrestag als Ärztin gefeiert - nun ja, wie es auch so schön heißt: "gefeiert", richtige Feierlichkeiten gab es natürlich nicht, ich habe, ehrlich gesagt, auch erst Tage später an das Datum gedacht. In diesen 12 Monaten ist unglaublich viel passiert, was mein Leben und mich selbst sehr geändert hat.

Diese 12 Monate sind nicht umsonst vergangen. Jeder Tag hat mich mit irgendeiner Entdeckung beschwert - sei es auch, wie man ein Port-System* ansticht oder die Chemotherapiedosis ausrechnet. Und trotzdem: Ich habe in meinem ersten Jahr enorm viel gelernt und fühle mich jetzt viel besser für den Arztberuf ausgerüstet (dass ich aber nach wie vor manchmal mit zitternden Knien den Bereitschaftsdienst antrete, erzähle ich hier lieber nicht). Ich sehe allerdings immer noch sehr klar, wie viel noch vor mir liegt, und wie weit der Weg bis zum Horizont noch zu sein scheint. Eins unterscheidet mich aber vom Zustand vor einem Jahr: Nun kann ich zurückblicken und auf all das stolz sein, was ich in der vergangenen Zeit geleistet habe.

Dieses Gefühl kommt leider häufig zu kurz: Von der Kindheit an getrimmt, sind wir gewillt, unser Ziel in den Augen zu behalten und blicken dementsprechend quasi die ganze Zeit nur auf das unberührte Feld, was vor uns liegt. Selten findet man die Gelegenheit, sich umzudrehen und das zu betrachten, was man bereits geschafft und geschaffen hat. In vielen kommt dann die Angst hoch: Was ist, wenn ich mein Ziel aus den Augen verliere? Bin ich dann nicht selbst verloren?

Nein und nochmals nein!! In meiner kurzen Berufs- und Lebenserfahrung hat mir gerade dieser kleine Trick immer wieder aus der Patsche geholfen. Wie häufig habe ich Tage erlebt, wo man mitten im Nebel steckt und nicht weiß, wo rechts und links ist - ich habe dann wieder und wieder in meinem Blog nachgelesen, was ich in der Zwischenzeit alles gemeistert hatte - und dann ging es mir jedes Mal besser.

Jetzt habe ich das Gefühl, ich möchte lieber die Geschehnisse jeden einzelnen Tages vorerst auf mich wirken lassen, bevor ich sie zu einem Blogeintrag verarbeite. Vor drei oder vier Wochen hat mich eine Patientengeschichte so berührt, dass ich mich sofort an den Rechner gesetzt und einen ellenlangen Beitrag verfasst habe. Er hängt bei mir immer noch in den Entwürfen rum: Meine Einstellung diesem Patienten gegenüber hat sich geändert, und ich kann mich nicht mehr mit den von mir verfassten Zeilen identifizieren.

Es gibt Zeiten zu geben und zu nehmen, Zeiten, Steine zu sammeln und sie zu zerstreuen. Die Geschehnisse der letzten Monate scheinen mehr an meinen Kräften gezerrt zu haben, als es mir bisher bewusst war, und jetzt ist es an der Zeit, die inneren Ressourcen und vor allem die innere Ruhe wieder aufzubauen, damit ich weiterhin meiner Rolle eines Felses in der Brandung gerecht werden kann.

 
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* - eine unter der Haut implantierte Hohlkammer mit einem angeschlossenen Katheter, der in eine zentrale Vene führt, und einer Membran, die von außen mit einer Nadel angestochen werden kann. Es wird wie ein zentralvenöser Katheter benutzt, um z.B. Chemotherapie oder intravenöse Nahrung direkt dem großen Blutkreislauf zuzuführen ( wiki ).