Freitag, 22. Februar 2013

Woche 26. Tatütata

Wagen mit Blaulicht, die sicher und souverän ihren Weg durch die überfüllten Straßen einer Stadt finden, ziehen immer Blicke auf sich. Wenn ich einen Rettungswagen oder einen Notarztwagen mit Blaulicht sehe, versuche ich mir immer vorzustellen, was sich hinter den blickdichten Fenstern wohl abspielen mag.

Und ich freue mich, dass ich schon einige Male dabei sein durfte. Seit dem 9. Semester fahre ich immer wieder mit dem Notarzt mit und habe dabei schon einige spannende Geschichten erlebt.

Ein Vorteil der Arbeit auf meiner jetzigen Intensivstation ist, dass solche Hospitationen nun als Arbeitszeit gelten, man darf nur nicht damit übertreiben. Gestern habe ich meine Chance wieder genutzt.

Wir hatten viele interessante Einsätze. Zwei sind mir besonders in Erinnerung geblieben: Bei einem ging es um einen kleinen, gerade mal ein Jahr alten Jungen, wegen dem wir durch die ganze Stadt über 30 Minuten fahren mussten und der diese ganze Zeit zu Hause gekrampft hat. Es war ein Fieberkrampf, der Kleine hatte eine Erkältung und seine Körpertemperatur betrug 39°C. Die Mutter war außer sich vor Sorge, vor Ort versuchten alle  sie zu beruhigen.

Wir mussten weitere 15 Minuten fahren, um zum nächsten Krankenhaus mit einer Kinderabteilung zu gelangen. Der Arzt versuchte, die Mutter von den Sorgen abzulenken und erzählte ihr von seiner eigenen Tochter, die am selben Tag Geburtstag hatte, wie der Kleine, nur eben "vor 30 Jahren".

Ein anderer Fall bescherte mich mit einer besonderen Entdeckung: Ich hatte es nie gewusst, dass es im Hauptbahnhof eine Polizeiwache gibt! Dorthin wurden wir gegen das Ende der Schicht gerufen. Ich habe vorher noch nie eine Wache von innen gesehen, es war voll wie im "Tatort"!

Unser Ziel war eine Ausnüchterungszelle, unser Patient ein Pole ohne festen Wohnsitz, dafür mit einem Haftbefehl. Ein paar Polizisten wollten auf dem Bahnhof seine Papiere kontrollieren, dabei ist er handgreiflich geworden. Sie haben ihn festgenommen und in die Zelle gebracht, dort ist er zusammen gebrochen, und ein Notarzt wurde gerufen. Vor Ort konnten wir keine schwerwiegende Krankheit und auch keinen Notfall feststellen, der Mann war schlichtweg voll betrunken. Als wir da waren, ist er etwas wacher geworden und hat alle um sich herum beschimpft.

Der Notarzt sah keinen Handlungsbedarf, wir sind wieder weggefahren. 20 Minuten später kam erneut ein Alarm, aus der selben Wache. Nun sei der Mann erneut bewusstlos geworden und habe auf dem Boden gekrampft. Wir fanden ihn entspannt auf dem Boden liegend vor, er konnte ohne große Umstände wieder geweckt werden. Da die Polizisten sich damit überfordert fühlten, hat der Arzt entschieden, dass der Patient nun doch ins Krankenhaus soll. Er ist im Rettungswagen in Polizeibegleitung weggefahren worden.

Das war mein letzter Einsatz. Ich wäre gerne noch länger geblieben, aber nach 12 Stunden Schicht muss auch irgendwann mal Schluss sein. Umso mehr freue ich mich aufs nächste Mal mit Blaulicht und Tatütata.

Freitag, 15. Februar 2013

Woche 25. Der Höhenflug

Diese Woche war echt voll der Hammer! Angefangen damit, dass am Montag einer der Zweitdienste fehlte und ich praktisch dafür einspringen musste. Zusammen mit dem Arzt im ersten Dienst sind wir direkt nach der Frühbesprechung durch alle Zimmer durchgegangen und haben uns dann die Station aufgeteilt, jeder hatte sechs Patienten zu visitieren, ganz wie im echten Leben!

Eine kleine Erklärung: Die gesamte Intensivstation hat 24 Betten, sie werden zwei "Unterstationen" zugeordnet, von denen jede durch zwei Ärzte betreut wird, einen erfahrenen, der den "ersten Dienst" und damit das Sagen hat, und einem mal mehr mal weniger Anfänger, der meistens noch Assistenzarzt ist und / oder von einer anderen Station als Rotand kommt. Sie teilen die Unterstation so, dass jeder die Hälfte der Patienten versorgt, und wenn Probleme auftauchen, werden sie von den beiden gemeinsam gelöst.

Der Tag fängt damit an, dass die beiden Ärzte nach der Frühbesprechung und Übergabe erst mal gemeinsam durch alle Zimmer gehen und sich einen Plan für die Schicht ausdenken. Was fällt heute an? Was müssen wir unbedingt machen? Schau mal, 10 mg Torem bringen nichts, wir erhöhen die Dosis auf 20.

Danach visitiert jeder nochmal einzeln seine Patienten, das heißt alle werden untersucht, die Medikamente müssen angepasst und das Labor für morgen zusammengestellt werden. Wenn Beatmung noch eine Rolle spielt, überlegt man sich, wie sie zu optimieren ist. Wenn Untersuchungen anstehen, muss man sie anmelden und danach die Befunde würdigen.

Um 12.30 treffen sich beide Ärzte mit dem Oberarzt und dem Chefarzt zur täglichen Chefvisite. Patienten werden vorgestellt, Geschehnisse des Tages berichtet und Therapieüberlegungen erläutert. Es ist ein echtes Teamspiel, denn alleine ist man auf der ITS verloren.

Am Montag konnte ich also voll erleben, wie sich ein frischgebackener Assistenzarzt fühlt. Klar, visitiert habe ich ja schon von Anfang an, dabei konnte ich mir aber immer viel Zeit lassen. Mir wurde schnell klar, dass ich systematisch vorgehen muss, um an alles zu denken und nicht etwas wichtiges zu verpassen.

Das habe ich Endeffekt doch noch geschafft: Die halbe Visite durchgeführt. Klar, der andere Arzt war schon längst fertig und hat noch nebenbei sonografiert, zwei ZVKs gelegt und einen Patienten entlassen. Ich war aber trotzdem stolz auf mich: Mein erster Schnuppertag als "bald Ärztin".

Der Spaß hielt an: Am Mittwoch habe ich meinen allerersten ZVK gelegt (in nur 30 Minuten), und am Donnerstag bekam ich sogar Lob von einer Krankenschwester. Schade, dass diese fünf Tage nun vorbei sind: Es war echt die perfekte Woche!

Freitag, 8. Februar 2013

Woche 24. Halbzeit

Die Zeit ist tatsächlich wie im Zug vergangen. Mit dieser Woche habe ich die erste Halbzeit meines PJs abgeschlossen.

Es ist wirklich unglaublich. Ich merke, wie ich langsam im Alltag des Arztberufes ankomme und mir wichtige praktische Fähigkeiten aneigne: Wenn man auf einer neuen Station anfängt, ist es empfehlenswert, sich allen, inklusive pflegerischen Personals, vorzustellen. Eine eigene Telefonliste ist von sehr großer Bedeutung. Es ist wichtig, am ersten Tag zu fragen, wo die Personaltoiletten sind. Wenn man irgendeinen Abstrich zur Virologie verschickt, niemals ein Agar-Röhrchen dafür verwenden!

Solche und ähnliche Sachen haben in meinem Kopf schon ihren Platz gefunden. Und ich bin gespannt, was da noch dazu kommen wird - wie im Laufe diesen Jahres, so auch Jahrzehnte später. Denn Ihr wisst alle, und es bestätigt sich jeden Tag, Arztberuf ist gleich lebenslanges Lernen.

Mein Lernprozess fängt gerade erst an. Ich fühle mich wie ein Kind, das gerade die Welt entdeckt. Mit jedem neu gelesenen Kapitel im Lehrbuch oder einem Tag auf Station kommen neue Puzzle-Stückchen und legen sich zu einem Bild zusammen. Und ich kann Euch sagen - es ist wirklich wunderschön.

Freitag, 1. Februar 2013

Woche 23. Dr. House wanted!

Als ich damals im ersten Semester den Dr. House für mich entdeckt hatte, beschlich mich das unangenehme Gefühl, zu wenig zu wissen. Denn genau so habe ich mir damals die Arbeit als Ärztin vorgestellt: Ein Patient wird eingeliegert, Du nimmt eine Flipchart, zwei Stifte, überlegst einen Moment und lieferst die Diagnose. Am Ende der Folge wird der Patient gesund, und Du genießt den Ruhm.

Meine Sorge war, dass ich eben zu wenig weiß, um den Schritt mit der Flipchart übernehmen zu können. "Was werden die anderen über mich denken, wenn ich die richtige Diagnose nicht auf Anhieb sagen kann?" Der echte klinische Alltag, wo man praktisch nie alleine ist und immer im Team arbeitet, war mir damals gar nicht so richtig präsent.

In dieser Woche habe ich aber richtig erlebt, dass Ärzte auch mal mit ihrem Latein am Ende sein können. "Warum hat der Patient nun Durchfälle? Wir haben doch alles gecheckt!" "Wo kommt diese Hämolyse her?" "Woher die Fragmentozyten? Die Rekap-Zeit ist im Normbereich, mit der Milz ist alles okay." "Warum ist der pH so niedrig? Von einer vierminütigen Rea kriegt man doch keine derartige Laktatazidose!" Die Krönung von alledem ist der Fall eines vietnamesischen Patienten, der alleine in die Notaufnahme kam und dort umgekippt ist, weil sein Säure-Basen-Haushalt aus den Rudern geraten ist. Warum? Keiner weiß.

Wir brauchen also dringend die Hilfe vom berühmtesten TV-Doktor aller Zeiten. Lieber Dr. House, Sie können sich gerne bei uns melden. Als Belohnung gibt es Kekse, kostenlose Auftritte in der täglichen Chefvisite und unsere ewige Dankbarkeit.

PS: Über ein Autogramm wären wir alle auch sehr erfreut!