Sonntag, 28. Oktober 2012

Woche 9. Abends in der Rettungsstelle

Diese Woche habe ich meine Chance genutzt und bin auch mal zum Spätdienst gekommen, um in der Rettungsstelle, die an meine jetzige Station angegliedert ist, mitzumachen. Gleich im Vorab gesagt, würde ich es jederzeit wieder gerne machen, und auch jedem empfehlen, denn in der Rettungsstelle lernt man schon eine Menge.

Zum Beispiel, wie man sich einen Zusatzzugang in der hauseigenen Datenbank kann freischalten lassen. Die Hotline wird mich bald an der Stimme erkennen, befürchte ich, so oft habe ich dort in den vergangenen Wochen angerufen.

Doch die Mühe war nicht vergeblich, und an meinem ersten Tag in der RST konnte ich schon selber die Erst-Hilfe-Scheine ausfüllen.

An sich fand ich die Spätdienste sogar viel angenehmer. Man kann ruhig ausschlafen, und hat noch genug Zeit, um etwas vernünftiges zu machen vor der Arbeit. Der Dienst an sich geht nur 8 Stunden, wir hatten aber jedes Mal Zeit, um auch 1/2 Stunde Pause zu machen und mit den Schwestern auf Station zum Abend zu essen.

Die Atmosphere und Stimmung an sich ist am Abend auch ganz anders. Die Hektik des Tagesbetriebs endet bei der Mittagsbesprechung um 14.30, wo die Stationsärzte vom Tagesdienst dem Nachtdienst von den Geschehnissen des Tages berichten sowie von den Patienten, bei denen es etwas zu beachten gibt. Danach ist meistens Ruhe auf den Stationen, denn es werden normalerweise für diese Zeit keine Untersuchungen mehr geplant, die Patienten haben Besucher und können sich diesen ganz und gar widmen.

Deshalb ist die Hauptaufgabe des Spätdienstes, sich um die Rettungsstelle zu kümmern. Kaum machen die Kinderarztpraxen zu, gehen die Familien dann direkt ins Krankenhaus. Das Spektrum der Beschwerden ist sehr breit: Es reicht von "Melina bricht seit 2 Tagen, isst und trinkt nicht mehr" bis hin zu "Wir wurden erst gestern entlassen, nachdem Linus vom Sofa runter gefallen ist, und heute hat sein Köpfchen eine irgendwie komische Form". Genauso unterschiedlich sind die Eltern, wie die Mutter von Melina, die anfängt zu weinen, weil die Ärztin ihr sagt, das Kind muss stationär bleiben und sie selbst kann es nicht, weil sie noch auf andere Kinder zu Hause aufpassen muss, oder der Papa von Linus, der sich mit einem Ultraschall vom Kopf zufrieden stellen lässt und beruhigt den Kinderwagen aus dem Raum schiebt.

Das ist eine der großen Herausforderungen in der Rettungsstelle. Man soll sich im Klaren sein, dass die Familien (meistens) nicht freiwillig dahin kommen, und auch nicht, weil es ihnen zu gut geht. Die Rettungsstelle ist schon ein Tick krasser, als die Kinderarztpraxis (die häufig bei jedem Pups alarmiert wird), und die Hemmschwelle, die aufzusuchen, ist dabei viel größer.

Daher gilt es: Eltern beruhigen, Kind beruhigen und untersuchen, sich schnell ein Bild von den Problemen verschaffen, und dann aber auch schnell entscheiden. Ist das Kind wirkich krank? Muss es stationär bleiben oder kann nach Hause gehen? Was steht als nächstes auf dem Plan? Ist die Situation gefährlich oder kann man sich mit den Formalitäten noch Zeit lassen?

Das alles auf den ersten Blick zu erkennen, ist für mich die größte Herausforderung in der RST. Klar, nach einer gewissen Zeit findet man schon seine Routine und denkt nicht mehr darüber nach. Da ich jetzt aber erst ganz am Anfang meines Weges als Mediziner bin, freue ich mich über jedes Mal, wenn ich ins Nachbarzimmer gehen und sagen kann: "Ich bin fertig, kannst Du Dir das Kind dann auch noch mal angucken?"

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