Diese Woche ist der Moment gekommen, wo ich mich wirklich sehr gefreut habe, einen Blog angefangen zu haben, wo ich mich auch ausheulen kann, wenn es mal sein muss. Denn in den letzten Tagen ist schon einiges passiert, das mich viel zum Nachdenken bringt.
Das Thema, das ich gleich ansprechen werde, muss man als Pädiater auch behandeln und damit umgehen können. Ich kann es nicht. Deshalb sehe ich darin noch eine große Hürde, die mich von der Kinderheilkunde abhält.
Es geht nämlich um die Kindermisshandlung. In jedem Pädiatriebuch gibt es mindestens ein Kapitel dazu (meistens ganz am Ende und mit vielen Bildern). Es muss dabei gar nicht um irgendwelche sexuellen Taten gehen, auch Vernachlässigung (körperlich sowie seelisch) und körperliche Gewalt gehören mit dazu.
Die besagten Kapiteln habe ich immer sehr aufmerksam gelesen (Du musst Deinen Feind kennen, um ihn zu bekämpfen!), aber die Praxis ist natürlich viel krasser. Am Montag habe ich auf der Station einen kleinen Jungen kennengelernt, der am Samstag seinen ersten Geburtstag hatte und am Sonntag in die Klinik kommen musste mit Verdacht auf Fieberkrampf. Erst als er hier war und die Ärzte ihn sahen, fiel auf, dass er in seiner Entwicklung deutlich zurückgeblieben ist: Er kann nicht mal sitzen, vom Krabbeln und Sprechen gar keine Rede.
Das erste Mal, als ich ihn sah, saß er auf dem Arm einer Krankenschwester, weil sie ihn zum Röntgen bringen wollte. Ich war formlich geschockt von seinem Aussehen: Er lächelte nicht, bewegte sich kaum, wirkte seriös und sehr, sehr unglücklich. Man sah ihm an, dass er schon viel leiden musste, und das mit gerade mal einem Jahr! Am Abend wurde er aktiv und schrie die ganze Station zusammen, die Mutter wirkte gelangweilgt und verärgert, sowas tue ihr Sohn schließlich jeden Abend, und det nervt!
Am Montag schon wurden die ersten Vermutungen einer Kindermisshandlung geäußert: Der Junge hatte mehrere Blauflecken, auch an der Ohrmuschel hatte er ein großes Hämatom. Am Kopf war eine Beule zu spüren, die die Mutter mit einem "Na da isser mal blöd jefallen" erklärte.
Zwei Tage später, am Mittwoch, ist endlich ein Ganzkörper-MRT gelaufen. Das, was wir da gesehen haben, brachte mich völlig aus der Fassung: Ein alter Oberarmbruch, eine noch nicht ganz verheilte Fraktur am Unterschenkel und zu gutem Letzt eine dicke Blutung an den Hirnhäuten (in den meisten Fällen, vor allem in diesem Alter, als Folge eines Traumas zu sehen). Mir wurde klar, dass mein erster Eindruck stimmte, denn von ganz alleine entsteht sowas meistens nicht.
Der Junge kam aus der Radiologie zurück, er musste noch seine Narkose ausschlafen. Er lag ganz alleine im Untersuchungsraum in seinem Bettchen, die Mama war im Zimmer und kam nur einmal raus, um das Mittagessen zu holen.
In der Chefvisite kam man auch ausführlich darauf zu sprechen: Jetzt muss endlich das Jugendamt eingeschaltet werden, damit der Kleine in eine Pflegefamilie kann und nicht mit der Mutter nach Hause geht. Eine Schwester meinte aber im Nachhinein zu mir: "Häufig sind die Pflegefamilien genauso gestrickt, wie die Familien, wo die Kinder herkommen, sodass man nicht weiß, was für sie besser wäre". Ich drücke dem kleinen Mann aber ganz fest die Daumen, dass er wenigstens hier Glück haben wird, und in eine Familie kommen wird, die ihn liebhat und ihn fördert und fordert. Denn so ein Leben, was er jetzt führen muss, hat definitiv kein Kind auf der Erde verdient.
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