"Vergiss Gefühle. Es geht nur ums Überleben"
HoG
"House of God" ist ein geniales Buch. Ich weiß, es gibt viele Leute, darunter auch Mediziner, die das Ganze für eine Übertriebenheit halten und der Geschichte demnach keinen Glauben schenken wollen. Ich sage nur: Glück gehabt.
Für mich ist das eine wahre Geschichte. Ich selbst habe das Buch schon zweimal gelesen und kann tatsächlich unter beinahe jedem Satz unterschreiben. Zu den meisten Charakteren lassen sich ohne weiteres Korrelate im realen Leben finden und - oh Schreck! - die Szenarien verlaufen meistens auch gleich, wie auf dem Papier, so in der Realität.
Das Zitat am Anfang ist mir zu einem Zeitpunkt eingefallen, der inzwischen schon von aktuelleren Geschehnissen vertrieben wurde. Es war, als mir ein Patient erzählte, wie er und seine Frau innerhalb weniger Monate zwei Kinder nacheinander verloren haben: Der Große ist im Beisein des Vaters mit dem Fahrrad verunglückt und der Kleine hat auf einer Müllheide Herzmedikamente gefunden und sich damit vergiftet.
Jetzt ist der Vater über 70 Jahre alt. Er kam zu uns, damit wir seinen Lungenkrebs diagnostizieren konnten. Er hängt sehr an seiner Frau, und hat am ersten oder zweiten Abend bei uns vor Verzweiflung geweint, weil er sie nicht anrufen konnte.
Diese Geschichte hat mich sehr mitgenommen. Ich habe zwar keine Kinder, aber ich kann mir vorstellen, wie schrecklich es ist, eins zu verlieren. In diesem Falle waren es ja sogar mehrere kurz hintereinander, aber auch das hat dem Schicksal nicht gereicht, der Vater musste noch Lungenkrebs kriegen.
Bei solchen tragischen Verläufen tue ich mich sehr schwer damit, meinen Glauben an die Welt nicht zu verlieren. Es erscheint sehr einfach, in einem See von Zynismus und bösen Sprüchen zu versinken, so Dr. House-mäßig, nur um sich selbst zu retten. In solchen Momenten denke ich an den Satz aus dem "House of God": "Es geht nur ums Überleben".
Doch wie gesagt, jüngere Geschehnisse haben diese Geschichte eher in den Hintergrund rücken lassen. Sie haben mir auch gezeigt, dass dieser Satz nicht nur im Hinblick auf Patienten und ihre Schicksale gilt.
Es wird häufig und gern gesagt: "Lehrjahre sind keine Herrenjahre". Aber wir wahr es ist, kann tatsächlich nur jemand begreifen, der ganz am Ende der Nahrungskette steht und nicht mehr über den Welpenschutz der Lehrlinge verfügt. Die Auswirkungen spüre ich nämlich immer wieder, wenn es um die Zusammenarbeit mit Ranghöheren geht.
Zum Glück ist es nicht mehr so gravierend, wie in meiner letzten Klinik, wo der Chefarzt seine Assistenzärzte wie Kakerlaken behandelte. Aber auch in meiner jetzigen Abteilung kommt es immer wieder vor, dass ich mal von einer überheblichen Praxisärztin am Telefon blöd angemacht werde oder Ärger kriege für die Entscheidungen, die ich gar nicht getroffen hatte. Ich habe noch nicht die ausgefeilten Schutzmechanismen entwickelt, um all die bösen Bemerkungen sofort wieder abschütteln zu können und kaue manchmal noch eine Ewigkeit darauf rum.
Was tun? Abstumpfen? So werden, wie Dr. House (den ich inzwischen in so mancher Hinsicht echt gut verstehen kann!)? Oder kämpfen? Mein Ziel vor den Augen behalten und daran glauben, dass ich es eines Tages erreiche. Und bis dahin, wenn es sein muss, Gefühle vergessen und überleben.
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