Ich habe, glaube ich, schon mal hier im Blog darüber geschrieben, dass Tod nun mal auch ein Teil des Lebens ist und es umso wichtiger ist, den richtigen Moment zu erkennen, um den Menschen einfach gehen zu lassen.
Damals habe ich diesen Eintrag vom Standpunkt einer Studentin verfasst, die zwar die Patienten mitbetreut, aber doch nicht die volle Verantwortung übernehmen kann. Diese Konstellation hat sich jetzt geändert.
Seit einem halben Jahr bin ich nun approbierte Ärztin (und darf ganz offiziell Blutprodukte anhängen). Seit 4,5 Monaten berufstätig. Seit 5 Wochen auf einer Station, auf der vorwiegend Patienten mit Lungenkrebs behandelt werden. Und jetzt ist der Moment gekommen, an dem ich an meine Grenzen stoße.
Als ich damals die Kliniken gewechselt habe, habe ich mich über diese Entwicklung sehr gefreut. Zu dieser Meinung stehe ich immer noch: Der Wechsel war auf jeden Fall richtig und ich bereue ihn keineswegs. Doch durch diese Veränderung bin ich einem Aspekt des Ärztedaseins begegnet, mit dem ich bisher nur wenig Erfahrungen sammeln konnte: der Behandlung unheilbar kranker Menschen.
Ich sage dabei ganz mutwillig nicht palliativ* - denn diesen Begriff verbinde ich sehr starkt mit Hospizen und Sterbebegleitung bei Menschen, die kurz vor ihrem Ende stehen und quasi dem Sensemann schon ins Gesicht blicken. Nein, meine Patienten sind zum größten Teil voll Lebensfreude, fallen manchmal bis auf einen kahlen Kopf gar nicht negativ auf und haben wie viele andere auf ihrem Nachttisch Bilder von Kindern und Enkelkindern stehen. Nur durch eine kleine unscheinbare Sache unterscheiden sie sich vom Rest der Bevölkerung: Irgendwo in ihrem Körper hat sich eine Gruppe von Zellen verselbstständigt und wächst unkontrolliert. Wir kennen diesen Prozess als Krebs.
In der kurzen Zeit, die ich bisher auf dieser Station verbracht habe, habe ich unterschiedliche Sorten von Patienten kennegelernt. Da ist eine Frau im mittleren Alter, die erst sein kurzem einen neuen Freund hat und mit ihm ein Haus an der Ostsee bauen will - nur dumm, dass sie auf einmal diese Erkältung kriegt und die Ärztin auf dem Röntgenbild eine komische Verdichtung in der linken Lunge erkennt: Krebs. Als wir das erste Mal zur Visite kommen, fängt sie an zu weinen, weil ihr auf einmal klar wird, dass sie bald sterben könnte. Zwei Wochen später kommt sie zum esten Zyklus der Chemotherapie und hat in der Zwischenzeit etwas Kräfte gesammelt: Sie blickt jetzt entschlossen in die Zukunft und will nicht aufgeben (egal, was das komische Gewächs in ihrem Brustkorb sich dabei denken mag).
Da ist ein älterer Mann, für den die Diagnose schon ein Weilchen her ist: Er hat inzwischen fünf Zyklen Chemotherapie absolviert und sich an die häufigen Krankenhausaufenthalte und die (ziemlich krassen) Nebenwirkungen der Medikamente gewöhnt. Eines Tages trägt er bei der Visite ein weißes T-Shirt, auf dem kleine farbige Hände- und Fußabdrücke verteilt sind. "Die sind von meinen Enkelkindern", - erzählt er mit Stolz. (Dass ich dieses schöne Geschenk beim Pieksen gleich mit einem Fleckchen Blut versaue, ist mir bis heute oberpeinlich.)
Da ist ein anderer Mann, etwa 10 Jahre junger. Bei ihm wurde auch soeben Lungenkrebs diagnostiziert, doch er bleibt gefasst: Er habe sein ganzes Leben lang geraucht und das nie aufgeben wollen, daher sei er jetzt daran selber Schuld. Bald wird er wieder kommen und wir beginnen mit der Chemotherapie.
Und schon wieder ein Mann: in den vierziger Jahren geboren, vom Kopf bis Fuß durchtätowiert (ernsthat, sogar auf den Oberschenkeln hat er noch Bilder!). Seit März lebt er mit seiner Diagnose und hat inzwischen zwei Zyklen Chemo bekommen. Leider ist seine Krebsart besonders aggressiv und noch vor dem zweiten Zyklus sehen wir im Kopf-MRT zahlreiche Knochenmetastasen, die sich nach der ersten Chemogabe demaskiert haben. Er ist auch nicht mehr der jungste und verträgt den zweiten Zyklus leider nicht so gut. Meine Kollegin sagt bei der Visite: "Da müssen wir sehen, ob wir den dritten überhaupt noch geben", und für mich klingen diese Worte wir ein Todesurteil: Ohne die Medikamente, egal wie schwach sie einen machen, hat dieser Mann nur wenige Monate zu leben. Sie sieht mir meine Reaktion an und erklärt ganz ruhig: Egal, was wir machen, er hat höchstens noch 18 Monate zu leben.
Da wird mir einiges klar: Es spielt keine Rolle, wie sehr man sich mit seinen Patienten anfreundet. Eine Sache darf man nie vergessen: Auch wenn sie jetzt noch gesund wirken, so sind sie nicht und werden es nie wieder werden. Und unsere Aufgabe ist nicht, ihr Leben mit Maschinen und Geräten zu verlängern, sondern versuchen, ihnen mehr Freude und Energie im Hier und Jetzt zu geben. Und das bis zum bitteren Ende.
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* - praktisch das Gegenteil von "kurativ" ("heilend"), eine Therapie, die nicht auf die Heilung ausgerichtet ist, sondern nur auf die Linderung der Beschwerden (z.B. durch Schmerzmittel) - wiki
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