Der menschliche Körper ist ein unglaublich kompliziertes Ding! Egal
welche Ebene man nimmt – von der Molekularstruktur und biochemischen Prozessen
bis hin zu der Makroanatomie mit ihren unzähligen Details. Und was dermaßen kompliziert
aufgebaut ist, kann auch an jeder Stelle kaputt gehen.
Das ist dann die Aufgabe der Medizin: herauszufinden, was defekt ist,
und das möglichst gut reparieren. Das klappt mal besser mal schlechter – bei
ganz vielen Krankheitsbildern sind wir noch nicht schlauer als die Natur.
Der Weg bis zur Diagnose ist oft sehr steinig. Krankheiten, wie diese
kleinen Fieslinge in „Es war einmal das Leben“, verstecken sich, was das Zeug
hält. Alles, ehrlich gesagt, vollkommen nachvollziehbar: Sie wollen halt auch
überleben.
Umso mehr freut man sich, natürlich, wenn man diese Fieslinge entdeckt
und erkannt hat. Nicht umsonst ist Dr. House eine Berühmtheit in seiner Welt,
und nicht umsonst gibt es jetzt das Pendant seiner Abteilung an einer der
deutschen Uni. Erst wenn man die richtige Diagnose gestellt hat, kann man die
Therapie einleiten und dem Patienten helfen.
So weit, so gut. Nicht so selten gibt es jedoch Geschichten, die etwas
anders verlaufen. Zahlreiche Krankheiten sind nämlich sehr gemein: Trägt man
sie im Körper, fällt es den anderen – und dem Körper selbst! – gar nicht auf.
Die Breite dieser Künstler des Versteckens kann sehr variabel sein, von
Tuberkulose bis Lungenkrebs, von kleinem Klappenfehler bis kurz vor
Herzinfarkt.
Beide Beispiele (Lungenkrebs und Herzinfarkt) habe ich bereits ziemlich
häufig gesehen. Umso gravierender sind dann die Folgen für die Patienten: Sie
kommen ins Krankenhaus und fühlen sich – meistens – fit, sie gehen und sind
schwerbehindert (im besten Falle).
Ein solcher Zufallsbefund wird mir wohl sehr lange in Erinnerung
bleiben. Ein Patient kam kurz vor Weihnachten ins Krankenhaus auf die
Einweisung seines Diabetologen. Mitte siebzig, sportlich, wie man gerne sagt – rustikal,
promovierter Zahnarzt, Mitglied in einem Wanderverein. Außer Diabetes keine
Vorerkrankungen, macht viel und gerne Sport. Dem Arzt war unregelmäßiger Puls
aufgefallen. Wir machten ein EKG: Alles klar, Erstmanifestation eines Vorhofflimmerns.
Die häufigste relevante Rhythmusstörung, das weitere Vorgehen schon tausendmal
durchgekaut – Elektrolyte checken und ggf. normalisieren, Wahrscheinlichkeit
eines Schlaganfalls berechnen, daraus die richtige Antikoagulation ableiten, 24
Stunden Langzeit-EKG (ob der normale Rhythmus von alleine zurückkehrt?),
ambulante Ischämiediagnostik empfehlen (beim niedergelassenen Kardiologen z.B.
mit Echokardiographie unter Belastung) und tschüss. Bereits nach der Aufnahme
habe ich schon den Entlassungsbrief diktiert – was sollte da noch kommen?
Am nächsten Morgen wollte ich mir vor der Visite noch die Telemetrie-Aufzeichnung
anschauen – um dem Patienten ruhigen Gewissens die gute Nachricht mit der
Entlassung überbringen zu können. Aha, das Vorhofflimmern ist immer noch da.
Antikoagulation braucht er auf jeden Fall, kriegt sie auch schon seit gestern.
Die Zeit habe ich noch: Gucke ich mir noch die Nacht durch. Klick, klick, aller
klar. Mooooomeeeeeeent!!!! Was ist denn das??? Auf dem Monitor – plötzlich –
Kammertachykardie* zu sehen, gleich mehrere Schläge nacheinander. Ich messe
aus: 15 Sekunden. Mir wird gleich voll bange. Mit diesem Befund kann ich den
Patienten auf keinen Fall entlassen!
Ich drucke den Streifen aus und renne zum Oberarzt. Vielleicht habe ich
mich ja verguckt? Er schaut auf das Zettelchen: Alles richtig, eine der
gefährlichsten Rhythmusstörungen, mitten in der Nacht! Sofort ins
Katheterlabor, heute noch!! Kammertachykardie kommt meistens nicht von alleine,
eine hochgradige Ischämie – also Unterversorgung des Herzens mit Blut – ist
sehr wahrscheinlich. Und das müssen wir sofort abklären.
Ein paar Anrufe später (Katheterlabor – bitte den Patienten auf den
Plan setzen, Küche – Herr W. bleibt bitte ab sofort nüchtern, Schwestern – die Telemetrie,
sprich, das Langzeit-EKG auf keinen Fall abnehmen!) traue ich mich auch ins
Patientenzimmer. Der besagte Herr ist in bester Laune, packt auch schon langsam
seine Sachen zusammen. Vorsichtig, ohne ihn von Kopf zu stoßen, erzähle ich von
dem gravierenden Befund. Das Lächeln schwindet langsam. Ja, natürlich, stimmt
er der Katheteruntersuchung zu. Was da jetzt wohl rauskommt?
Zwei Stunden später wissen wir das: höchstgradige KHK (koronare
Herzkrankheit), alle Herzgefäße sind betroffen, der Hauptstamm (also, die
Arterie, aus der zwei der drei Gefäße entspringen) zu 50% verschlossen. So
einen gravierenden Befund kann man auf dem Kathetertisch mit Ballons und Stents
nicht mehr gerade biegen. Es gibt nur eine Möglichkeit – Bypass-OP, Eingriff am
offenen Herzen.
Wiederum eine Stunde später habe ich schon einen Verlegungstermin ins
nächste Herzzentrum. Gleich morgen geht es los. Übermorgen wird der Patient
voraussichtlich operiert. Er ist natürlich etwas baff, so schnell kann man sich
aus scheinbarer Gesundheit in die Lebensgefahr begeben, versucht aber alles so
gelassen wie es geht hinzunehmen. Wir verabschieden uns mit einem Lächeln, ich
wünsche ihm vom Herzen alles Gute.
Alles in allem kann man hier vom großen Glück in Unglück sprechen: Wäre
die Kammertachykardie eben nicht in der Nacht der Überwachung aufgetreten,
hätte ich den Patienten ohne weiteres am nächsten Morgen entlassen. Und das mit
der tickenden Zeitbombe in der Brust – die man ja eben von draußen nicht
gesehen hat.
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* - potenziell lebensgefährliche Rhythmusstörung, da sie quasi die
Vorstufe zum Kammerflimmern ist. Die Erregung der Herzzellen kommt nicht – wie im
Normalfall – aus dem Vorhof oder dem dahinter geschalteten Ersatzzentrum,
sondern aus der Kammerselbst, und zwar nicht als einzelner Schlag (was an sich
noch unbedenklich ist), sondern gleich mehrmals hintereinander und mit hoher Frequenz
– so um die 150-160 bpm. Je höher die Frequenz, desto höher die
Wahrscheinlichkeit, dass Zellen erregt werden, die sich elektrisch noch nicht
erholt haben (in der sog. „vulnerablen“ Phase), daraufhin kann es zu einer kreisenden
Erregung kommen und somit zum Kammerflimmern – die Herzwände flimmern nur, es
wird kein Blut fortbewegt. Die kreisende Erregung kann man nur mit einem
Defibrillator unterbrechen, und das muss sehr schnell gehen – innerhalt weniger
Minuten, sonst drohen bleibende Schäden und Tod.
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