Vor kurzem ist wieder ein Patient seinem Krebsleiden erlegen. Es war, glaube ich, der letzte von den Patienten, die ich damals vor einem Jahr als Frischling auf der Krebsstation behandelt habe.
Alter Soldat, sah er mit seiner schiefen Nase wie ein Profiboxer aus. Am Anfang hatte ich sogar wegen seiner schroffen Art richtig Angst vor ihm. Doch als wir uns im Laufe der zahlreichen stationären Aufenthalte besser kennen lernten, freundeten wir uns auch an.
Jedes Mal in der letzten Zeit, wenn er auf unsere Station kam, erhellte sich sein Gesicht zu einem warmen Lächeln. Er wollte nie zugeben, dass es ihm immer schlimmer ginge und dass er nun den Haushalt kaum bewältigen kann. Das verriet mir dann seine Frau. Während des gesamten Jahres konnte ich zusehen, wie er zunehmend schwächer wurde, und die Krankheit die Oberhand gewann.
In den letzten Monaten und Wochen ist von meinem tapferen Krieger nur ein Schatten übrig geblieben. Am Ende konnte er vor Schmerzen nicht mehr richtig laufen, saß im Rollstuhl und schob es mit seinen - immer noch - kräftigen Armen im Flur hin und her. Jeden Tag fuhr er so an die frische Luft - was natürlich so viel wie das Codewort fürs Rauchen bedeutet. Ich kam zur Arbeit, er saß unten vor der Tür und grüßte mich fröhlich.
Gegangen ist er ganz plötzlich (auch wenn der diensthabende bei der Übergabe es als "erwartet" bezeichnete). An einem Wochenende wurde die auch zuletzt schon bemerkbare Verwirrtheit immer doller, er versuchte, aus dem Bett zu kommen und stürzte wiederholt. Irgendwann ist er so schlapp geworden, dass er nur noch da lag. Und dann ist er dahingeschwebt.
Einerseits finde ich schade, dass ich ihn in den letzten Stunden und Minuten nicht begleiten konnte. Andererseits ist es sogar besser so: Es wäre so gewesen, als hätte ich einem Freund beim Sterben zusehen müssen. Denn das war er eindeutig: ein Freund.
Schlaf schön, alter Krieger. Deine Schlachten sind nun vorbei, und es ist jetzt nur die ewige Ruhe, die darauf wartet, dich zu umhüllen und zu verbergen. Schlaf schön. Das hast du dir verdient.
Freitag, 27. Februar 2015
Sonntag, 15. Februar 2015
Die 12 Monate
Im Oktober letzten Jahres habe ich geschrieben, es passere gerade so viel, worüber ich berichten möchte, nur finde ich keine Gelegenheit dazu. Jetzt ist so eine Art Gegenteil eingetroffen, eine Zeit, die zwar nach wie vor mit Ereignissen gefüllt ist, die ich aber lieber in mich gekehrt zu verbringen vorziehe.
Mein Leben ist nach wie vor keine Routine, und ich treffe jeden Tag auf neue Herausforderungen. Vor zwei Wochen habe ich meinen ersten Jahrestag als Ärztin gefeiert - nun ja, wie es auch so schön heißt: "gefeiert", richtige Feierlichkeiten gab es natürlich nicht, ich habe, ehrlich gesagt, auch erst Tage später an das Datum gedacht. In diesen 12 Monaten ist unglaublich viel passiert, was mein Leben und mich selbst sehr geändert hat.
Diese 12 Monate sind nicht umsonst vergangen. Jeder Tag hat mich mit irgendeiner Entdeckung beschwert - sei es auch, wie man ein Port-System* ansticht oder die Chemotherapiedosis ausrechnet. Und trotzdem: Ich habe in meinem ersten Jahr enorm viel gelernt und fühle mich jetzt viel besser für den Arztberuf ausgerüstet (dass ich aber nach wie vor manchmal mit zitternden Knien den Bereitschaftsdienst antrete, erzähle ich hier lieber nicht). Ich sehe allerdings immer noch sehr klar, wie viel noch vor mir liegt, und wie weit der Weg bis zum Horizont noch zu sein scheint. Eins unterscheidet mich aber vom Zustand vor einem Jahr: Nun kann ich zurückblicken und auf all das stolz sein, was ich in der vergangenen Zeit geleistet habe.
Dieses Gefühl kommt leider häufig zu kurz: Von der Kindheit an getrimmt, sind wir gewillt, unser Ziel in den Augen zu behalten und blicken dementsprechend quasi die ganze Zeit nur auf das unberührte Feld, was vor uns liegt. Selten findet man die Gelegenheit, sich umzudrehen und das zu betrachten, was man bereits geschafft und geschaffen hat. In vielen kommt dann die Angst hoch: Was ist, wenn ich mein Ziel aus den Augen verliere? Bin ich dann nicht selbst verloren?
Nein und nochmals nein!! In meiner kurzen Berufs- und Lebenserfahrung hat mir gerade dieser kleine Trick immer wieder aus der Patsche geholfen. Wie häufig habe ich Tage erlebt, wo man mitten im Nebel steckt und nicht weiß, wo rechts und links ist - ich habe dann wieder und wieder in meinem Blog nachgelesen, was ich in der Zwischenzeit alles gemeistert hatte - und dann ging es mir jedes Mal besser.
Jetzt habe ich das Gefühl, ich möchte lieber die Geschehnisse jeden einzelnen Tages vorerst auf mich wirken lassen, bevor ich sie zu einem Blogeintrag verarbeite. Vor drei oder vier Wochen hat mich eine Patientengeschichte so berührt, dass ich mich sofort an den Rechner gesetzt und einen ellenlangen Beitrag verfasst habe. Er hängt bei mir immer noch in den Entwürfen rum: Meine Einstellung diesem Patienten gegenüber hat sich geändert, und ich kann mich nicht mehr mit den von mir verfassten Zeilen identifizieren.
Es gibt Zeiten zu geben und zu nehmen, Zeiten, Steine zu sammeln und sie zu zerstreuen. Die Geschehnisse der letzten Monate scheinen mehr an meinen Kräften gezerrt zu haben, als es mir bisher bewusst war, und jetzt ist es an der Zeit, die inneren Ressourcen und vor allem die innere Ruhe wieder aufzubauen, damit ich weiterhin meiner Rolle eines Felses in der Brandung gerecht werden kann.
--
* - eine unter der Haut implantierte Hohlkammer mit einem angeschlossenen Katheter, der in eine zentrale Vene führt, und einer Membran, die von außen mit einer Nadel angestochen werden kann. Es wird wie ein zentralvenöser Katheter benutzt, um z.B. Chemotherapie oder intravenöse Nahrung direkt dem großen Blutkreislauf zuzuführen ( wiki ).
Mein Leben ist nach wie vor keine Routine, und ich treffe jeden Tag auf neue Herausforderungen. Vor zwei Wochen habe ich meinen ersten Jahrestag als Ärztin gefeiert - nun ja, wie es auch so schön heißt: "gefeiert", richtige Feierlichkeiten gab es natürlich nicht, ich habe, ehrlich gesagt, auch erst Tage später an das Datum gedacht. In diesen 12 Monaten ist unglaublich viel passiert, was mein Leben und mich selbst sehr geändert hat.
Diese 12 Monate sind nicht umsonst vergangen. Jeder Tag hat mich mit irgendeiner Entdeckung beschwert - sei es auch, wie man ein Port-System* ansticht oder die Chemotherapiedosis ausrechnet. Und trotzdem: Ich habe in meinem ersten Jahr enorm viel gelernt und fühle mich jetzt viel besser für den Arztberuf ausgerüstet (dass ich aber nach wie vor manchmal mit zitternden Knien den Bereitschaftsdienst antrete, erzähle ich hier lieber nicht). Ich sehe allerdings immer noch sehr klar, wie viel noch vor mir liegt, und wie weit der Weg bis zum Horizont noch zu sein scheint. Eins unterscheidet mich aber vom Zustand vor einem Jahr: Nun kann ich zurückblicken und auf all das stolz sein, was ich in der vergangenen Zeit geleistet habe.
Dieses Gefühl kommt leider häufig zu kurz: Von der Kindheit an getrimmt, sind wir gewillt, unser Ziel in den Augen zu behalten und blicken dementsprechend quasi die ganze Zeit nur auf das unberührte Feld, was vor uns liegt. Selten findet man die Gelegenheit, sich umzudrehen und das zu betrachten, was man bereits geschafft und geschaffen hat. In vielen kommt dann die Angst hoch: Was ist, wenn ich mein Ziel aus den Augen verliere? Bin ich dann nicht selbst verloren?
Nein und nochmals nein!! In meiner kurzen Berufs- und Lebenserfahrung hat mir gerade dieser kleine Trick immer wieder aus der Patsche geholfen. Wie häufig habe ich Tage erlebt, wo man mitten im Nebel steckt und nicht weiß, wo rechts und links ist - ich habe dann wieder und wieder in meinem Blog nachgelesen, was ich in der Zwischenzeit alles gemeistert hatte - und dann ging es mir jedes Mal besser.
Jetzt habe ich das Gefühl, ich möchte lieber die Geschehnisse jeden einzelnen Tages vorerst auf mich wirken lassen, bevor ich sie zu einem Blogeintrag verarbeite. Vor drei oder vier Wochen hat mich eine Patientengeschichte so berührt, dass ich mich sofort an den Rechner gesetzt und einen ellenlangen Beitrag verfasst habe. Er hängt bei mir immer noch in den Entwürfen rum: Meine Einstellung diesem Patienten gegenüber hat sich geändert, und ich kann mich nicht mehr mit den von mir verfassten Zeilen identifizieren.
Es gibt Zeiten zu geben und zu nehmen, Zeiten, Steine zu sammeln und sie zu zerstreuen. Die Geschehnisse der letzten Monate scheinen mehr an meinen Kräften gezerrt zu haben, als es mir bisher bewusst war, und jetzt ist es an der Zeit, die inneren Ressourcen und vor allem die innere Ruhe wieder aufzubauen, damit ich weiterhin meiner Rolle eines Felses in der Brandung gerecht werden kann.
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* - eine unter der Haut implantierte Hohlkammer mit einem angeschlossenen Katheter, der in eine zentrale Vene führt, und einer Membran, die von außen mit einer Nadel angestochen werden kann. Es wird wie ein zentralvenöser Katheter benutzt, um z.B. Chemotherapie oder intravenöse Nahrung direkt dem großen Blutkreislauf zuzuführen ( wiki ).
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