Montag, 27. Oktober 2014

Ärztliche Schweigepflicht

"Ich werd gerufen: "Herr Doktor, ich merk' meine Beine nicht!"
Ich sage nichts - ärztliche Schweigepflicht"
Alligatoah - Narben
 
Jeder von uns hat Geheimnisse, mal große, mal kleine. Es wird sogar häufig behauptet, wer keine hat, ist uninteressant. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht und wer alles davon wissen darf.
 
Mit dem Begriff der ärztlichen Schweigepflicht bin ich das erste Mal im ersten oder zweiten Semester konfrontiert worden. Damals haben wir alle so einen Fetzen Papier bekommen, auf dem irgendwelche Paragraphen standen. Den musste man unbedingt unterschreiben, sonst hätte man keine Erlaubnis für praktischen Unterricht bekommen.
 
Die ganze Zeit davor war ich nicht mal auf die Idee gekommen, die Informationen, die im ärztlichen Gespräch häufig erhoben werden, auf diese Art und Weise (sprich auf Daten- und Personenschutz bezogen) zu betrachten. Es war damals (in meiner Zeit als nicht medizinisch geschultes Personal bzw. als "nur" Patientin) selbstverständlich, dass ich dem Arzt alle Fragen ehrlich beantworten muss.
 
Zu Beginn meiner medizinischen Laufbahn bin ich auch nicht in dem Ausmaß in Berührung mit vertraulichen Daten gekommen, wie ich es jetzt tue. Vielleicht liegt es daran, dass ich nun einen echten Visitenkittel trage (und nicht sein labormäßig gestyltes Korrelat - oh ja, es gibt da Unterschiede, die nur ein Kenner erfassen kann!!) oder dass ich bei der Anamneseerhebung recht selbstsicher und souverän rüberkomme. Vielleicht habe ich aber etwas mehr Erfahrung in Sachen vertrauliche Informationen und kann die richtigen Fragen stellen.
 
So oder so: In den letzten Monaten habe ich über meine Mitmenschen Sachen erfahren, die ich nie vermutet hätte - und ich spreche hier nicht von meinen Patienten. Da ist ein attraktiver sportlicher Mann im besten Alter, der mir eine Diagnose verrät, die an ganz andere, viel tristere Verhältnisse denken lässt. Da ist eine junge erfolgreiche Frau, die über den Abbruch einer Schwangerschaft berichtet, die sie sonst an ihrem Erfolg gehindert hätte. Da ist ein anderer Mann, ebenfalls im besten Alter, mit Fragen über Fragen, unterwegs in einem Meer aus Ungewissheit auf der Suche nach einem sicheren Hafen. 

Schon als kleines Kind habe ich lieber anderen zugehört, als selber was erzählt (diese Eigenschaft hat mich wiederum mit ordentlich Spott seitens meiner Mutter und Schwester beschert, was mich aber damals ordentlich geärgert hat), und es ist für mich nach wie vor die liebste Freizeitbeschäftigung. Vor ein paar Monaten habe ich schon berichtet, was für Schätze in den Menschenseelen verborgen liegen können. Ich bin nun überglücklich, wenn ich diese Kostbarkeiten auch nur ganz kurz zu sehen bekomme: Es ist für mich der schönste Anblick der Welt.


Mittwoch, 1. Oktober 2014

An Tagen wie diesen...

... An Tagen wie diesen sehe ich keinen Sonnenschein, es ist immer Nebel, und es ist auch gut so.
... An Tagen wie diesen sehne ich mich nach dem Feierabend, der aber nicht kommen will.
 ... An Tagen wie diesen rase ich durch die Straßen mit meinem Fahrrad und Sublichtgeschwindigkeit, um von meinen Gedanken wegzukommen, und es gelingt mir nicht, denn sie sind immer noch schneller.
... An Tagen wie diesen fragt mich eine Schwester, ob ich geweint habe, und ich merke, dasss ich das tatsächlich hätte machen können.
... An Tagen wie diesen muss ich wieder in die jungen Augen blicken und sagen: "Ja, Sie haben Krebs, leider, fortgeschritten und nicht operabel".
... An Tagen wie diesen muss ich für meine kranken, leidenden, verzweifelten und verunsicherten Patienten der Fels in der Brandung sein - und es gibt niemanden, der sich für mich, die ich auch krank, leidend, verzweifelt und verunsichert bin, einsetzt.
... An Tagen wie diesen will ich umso mehr Wärme, Freude, Fürsorge und Hilfebereitschaft ausstrahlen, für meine Freunde, die es brauchen, kann es aber nicht, weil ich mich so leer und ausgebrannt fühle.
... An Tagen wie diesen zweifele ich an meiner Erinnerung, das Licht am Ende des Tunnels einmal erblickt zu haben, ich zweifele an meinem Traum und möchte am liebsten alles hinschmeißen und - au revoir!
... An Tagen wie diesen will ich allen, die mit dem Gedanken spielen, Medizin zu studieren, eben diesen Gedanken ausreden: Es lohnt sich nicht.
... An Tagen wie diesen ...