Schon vor sehr, sehr, sehr, ..., sehr, sehr langer Zeit bin ich hier im Blog gefragt worden, wie ich nun in die Medizin gefunden habe. Tja, und hier kommt die Antwort!
Also... Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll. Wahrscheinlich im Sommerpraktikum nach der 7. oder 8. Klasse, wo ich in der Bibliothek der Schule aushelfen (sprich aufräumen) war. Da fragte mich die Bibliothekarin, was ich nach der Schule so machen will, und hat meine Antwort missverstanden - "Ärztin willst Du also werden, schön!".
So, das war meine erste Berührung mit der Welt im weißen Kittel! Natürlich habe ich es damals nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Um Medizin zu studieren hätte ich aus meiner Heimatstadt gemusst, und dafür fehlte mir, einem 16-jährigen Mädchen (in Russland macht man sehr früh Abi) die Mut.
Ich bin also als erstes Ingenieur geworden. Auch ein schöner Beruf, wenn man's bedenkt. Aber ich wollte mit 22 (ach ja, nach dem Abi geht man meistens direkt studieren) noch nicht meine Karriere starten, die 40 Jahre später mit dem Rentenantritt enden sollte. Stattdessen wollte ich etwas von der Welt sehen, was erleben, neue Menschen kennenlernen. Dafür hat sich plötzlich eine Möglichkeit geboten, als Au-Pair nach Deutschland zu kommen.
Das habe ich dann getan und ein sehr schönes Jahr in einer lieben Familie im Großraum Frankfurt / Main verbracht. Die Zeit dort war toll, hat mich mit unglaublich vielen neuen Eindrücken beschert und natürlich mit jeder Menge neuer Bekanntschaften. Und eine wichtige Entdeckung habe ich noch gemacht: Während des Unterrichts in den Deutsch-Kursen fiel mir auf, dass ich enorm gerne lerne! Ich habe anscheinend nach der Schule und dem ersten Studium noch nicht den Spaß am Erwerb neuer Informationen verloren, und habe daher beschlossen: Ich will noch ein mal studieren!
Tja, und was denn? Hmm, mal schauen. Eine technische Ausbildung habe ich schon. Geisteswissenschaften - never ever, damit könnt Ihr mich jagen! Was bleibt? Naturwissenschaften. Schön, Bio fand ich in der Schule ja schon immer cool! Hinzu kam, dass meine Gastmutter ausgerechnet Ärztin war - die Entscheidung fiel, Medizin soll es also werden!
Um meine Chancen auf einen Studienplatz zu erhöhen, habe ich mich gleich in mehreren Städten beworden: Frankfurt, Berlin und Gießen. Berlin habe ich durch meine "Gastoma" kennen und lieben gelernt, daher war das meine Prio Eins. Wie schön, dass ich von der Charité auch eine Zusage kriegte! (Eigentlich habe ich von allen drei Unis einen Zulassungsbescheid bekommen, da war mein 1,0-Durchschnitt aus dem Abi und dem Diplomstudium sehr hilfreich!) Noch schöner wurde es, als ich erfuhr, dass ich im begehrten Reformstudiengang studieren darf - als eine der 63 Erstis.
Über den Reformstudiengang muss ich vielleicht auch mal schreiben - den gibt es inzwischen leider nicht mehr. Ganz kurz - seinem Curriculum verdanke ich meinen Abschluss. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob ich das Studium in seiner traditionellen Form (also Vorklinikum, Physikum, Klinikum, mit einzelnen Fächern und jeweils einzelnen Prüfungen) geschafft hätte. Im Reformstudiengang gab es stattdessen Blöcke, und schlechtere Kenntnisse in einem Fach konnte man mit guter Leistung in einem anderen ausgleichen. (Anatomie, wir sind nie Freunde geworden!) Dass es kein Physikum für uns gab, war quasi noch das Sahnehäubchen!
Nichtsdestotrotz hatte ich in den ersten Semestern sehr viel am Lernstoff zu knabbern! Anspruchsvolles Studium, und das in einer Fremdsprache, und das ohne je genügend Lerntechnicken kennengelernt zu haben! In den ersten Wochen habe ich jedes (auch fakultative) Seminar besucht, bis abends spät noch in der Bib oder mit den 3D-Modellen gearbeitet, alles was ging auswendig gelernt... Und das konnte nicht gut ausgehen. Nicht mal zwei Monate nach dem Semesterbeginn wäre ich in der Uni beinahe umgekippt. Ich weiß nicht mehr, wie ich nach Hause fand, aber ich blieb danach drei Tage im Bett und konnte einfach nicht mehr aufstehen.
Als ich mich schließlich wieder auf die Beine traute, wurde mir klar, dass ich meinen Umgang mit dem Riesenberg neuer Informationen ändern muss. Ohne mir dessen bewusst zu sein, wandte ich die Grundregel des Zeitmanagements an: priorisieren. Um das Studium erfolgreich abzuschließen, muss ich Prüfungen bestehen. Um Prüfungen zu bestehen, muss ich Lernziele für jeden Block beherrschen - darum ging es, nicht mehr und nicht weniger.
Das habe ich dann gemacht. Ich sah nicht mehr in jeder Univeranstaltung drin, meine Zeit vergeudend, sondern lernte viel mehr alleine - und später in Lerngruppen - mit den Büchern, in meinem Tempo, und ließ mir die Zeit, die ich brauchte. Mit jedem weiteren Semester wurde es leichter, ich gewann an Überblick und wusste, worauf ich mich beim Lernen konzentrieren soll.
Alles in allem war mein Studium kein Spaziergang. Es forderte viel von mir ab. Aber es gab mir auch unheimlich viel zurück - neue Erfahrungen, neue Freundschaften, neue Perspektiven - sodass ich meine Entscheidung, diesen Weg anzuschlagen nie und niemals bereut habe. Und es wird hoffentlich auch in der Zukunft so bleiben.